Wissenschaftliche Kritik und ihre rechtlichen Grenzen
Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zählt zu den tragenden Grundprinzipien des deutschen Verfassungsrechts. Sie wird im Artikel 5 des Grundgesetzes gewährleistet und schützt wissenschaftliche Tätigkeit in Forschung, Lehre und Veröffentlichung. Doch wo diese Freiheit beginnt und wo sie endet, ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Lübeck vom 16. Dezember 2025 (Az. 15 O 173/24) verdeutlicht, wie zentral die Abwägung zwischen der Wissenschaftsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bleibt – insbesondere dann, wenn kritische oder gar provokante Aussagen im wissenschaftlichen Diskurs eine Person öffentlichen Lebens betreffen.
Ausgangspunkt war die Klage eines Professors der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung gegen eine im „Jahrbuch Öffentliche Sicherheit und Ordnung 2022/2023“ erschienene Studie. In dieser wurde ihm die Verbreitung rassistischer und rechtsextremer Positionen vorgeworfen. Der Kläger sah dadurch seine Persönlichkeitsrechte verletzt und verlangte Unterlassung bestimmter Passagen. Das Gericht wies die Klage jedoch größtenteils ab und stellte deutlich klar, dass sich die beklagten Autoren und Herausgeber auf die Wissenschaftsfreiheit berufen dürfen.
Das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht
Die Entscheidung des Gerichts basiert im Kern auf der Abwägung zweier verfassungsrechtlich geschützter Positionen: der Freiheit wissenschaftlicher Arbeit einerseits und dem Schutz der persönlichen Ehre andererseits. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt die Wissenschaftsfreiheit nicht nur die reine Forschungsarbeit, sondern auch deren Veröffentlichung und die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs. Entscheidend ist, ob eine Aussage in einem erkennbar wissenschaftlichen Kontext fällt – geprägt durch Methode, Begründung und Bezug auf fachliche Quellen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wiederum leitet sich aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ab. Es schützt die persönliche Ehre, das soziale Ansehen und die Integrität der Person. Wo wissenschaftliche oder meinungsbildende Äußerungen geeignet sind, diese Integrität unzulässig zu beeinträchtigen, müssen Gerichte eine sorgfältige Abwägung vornehmen. Die Grenze verläuft dort, wo die Kritik auf unwahren Tatsachenbehauptungen aufbaut. Solange wissenschaftliche Aussagen auf einem überprüfbaren Tatsachenkern beruhen und methodisch vertretbar sind, dürfen auch scharfe, zugespitzte oder abwertende Bewertungen erfolgen.
In der Lübecker Entscheidung griff das Gericht genau diesen Punkt auf: Es prüfte die in der Studie angeführten Zitate und Quellen systematisch und stellte fest, dass das überwiegende Material korrekt wiedergegeben worden war. Nur eine Passage wies eine nachweislich unzutreffende Zuschreibung auf, was zu einer teilweisen Verurteilung führte. Im Übrigen müsse der Kläger die wissenschaftliche Kritik hinnehmen, da sie Teil des öffentlichen Diskurses über seine Veröffentlichungen sei.
Bedeutung für Bildungseinrichtungen und Unternehmen im öffentlichen Rahmen
Für Hochschulen, Forschungseinrichtungen und auch Unternehmen mit wissenschaftlichem Bezug wie etwa Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder technologieorientierte Mittelständler ist diese Entscheidung von hoher Relevanz. Sie zeigt, dass wissenschaftliche Publikationen weitreichende Schutzwirkung genießen, auch wenn sie Personen oder Institutionen deutlich kritisieren. Maßgeblich ist, dass die wissenschaftliche Arbeitsweise erkennbar bleibt und Aussagen nachvollziehbar auf belegbaren Quellen beruhen.
In einer Zeit zunehmender öffentlicher Diskussion über Forschungsergebnisse, etwa in den Bereichen Pflege, Bildung oder Klimaschutz, kommt dieser Klarstellung erhebliche praktische Bedeutung zu. Einrichtungen sollten darauf achten, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen sorgfältig dokumentiert werden und Meinungsäußerungen klar von Tatsachenbehauptungen getrennt sind. Dies gilt ebenso für Unternehmen, die selbst Studien veröffentlichen oder an Projekten mit Hochschulen beteiligt sind. Eine transparente Quellenlage und methodische Strenge sind der beste Schutz vor persönlichen Unterlassungsansprüchen oder Schadensersatzforderungen.
Umgekehrt verdeutlicht das Urteil, dass Personen in wissenschaftlicher oder öffentlicher Verantwortung ein höheres Maß an Kritik hinzunehmen haben. Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber, Professorinnen und Professoren oder Führungskräfte im öffentlichen Dienst stehen im Diskurs in besonderer Beobachtung der Allgemeinheit. Korrekterweise müssen sie wissenschaftlich begründete Kritik akzeptieren, solange diese nicht auf falschen oder verfälschten Tatsachen beruht.
Fazit und praktische Empfehlungen
Das Urteil des Landgerichts Lübeck stärkt ausdrücklich die Freiheit wissenschaftlicher Kritik, stellt aber zugleich sicher, dass persönliche Diffamierungen oder bewusst falsche Darstellungen keine Deckung finden. Für Unternehmen, Bildungseinrichtungen und forschungsnahe Organisationen bedeutet das: Die Balance zwischen offener Diskussion und Achtung persönlicher Rechte bleibt Pflicht. Wer im wissenschaftlichen Umfeld veröffentlichen möchte, sollte Wert auf korrekte Zitate, nachvollziehbare Begründungen und fachlich saubere Argumentationsketten legen.
Darüber hinaus lohnt es sich für Organisationen, klare interne Richtlinien für wissenschaftliche Veröffentlichungen und den Umgang mit öffentlichen Diskursen zu etablieren. Eine juristisch fundierte Kommunikationsstrategie hilft, Risikoquellen zu minimieren und gleichzeitig die eigene Reputation zu stärken. Dies gilt besonders in Zeiten, in denen Medienöffentlichkeit und digitale Kommunikation Kritik und Resonanzen erheblich beschleunigen.
Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Gestaltung ihrer Prozesse, insbesondere im Bereich der digitalen Buchhaltung und Prozessautomatisierung. Durch gezielte Prozessoptimierung und Digitalisierung schaffen wir nachhaltige Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen und unterstützen unsere Mandanten dabei, rechtliche Sicherheit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Einklang zu bringen.
Gerichtsentscheidung lesen