Einordnung der Entscheidung zur Wissenschaftsfreiheit
Mit Beschluss vom 30. September 2025 (Az. 1 BvR 1141/19) hat das Bundesverfassungsgericht eine bedeutsame Entscheidung zur Reichweite der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz gefällt. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren Regelungen des Thüringer Hochschulgesetzes in seiner Fassung von 2018, die sich auf die Organisation der Hochschulen und die Zusammensetzung ihrer zentralen und dezentralen Organe beziehen. Mehrere Professorinnen und Professoren sahen sich durch die geltende Organisationsstruktur in ihrer Wissenschaftsfreiheit verletzt. Sie wandten sich insbesondere gegen die paritätische Besetzung des Senats und weiterer Selbstverwaltungsorgane mit Vertretern nichtwissenschaftlicher Mitarbeitergruppen. Das Gericht stellte fest, dass die Freiheit von Forschung und Lehre zwar institutionelle Beteiligung erfordert, jedoch nicht unbegrenzt vor organisatorischer Einflussnahme schützt.
Die zentrale Aussage der Entscheidung ist, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Hochschulorganisation sicherzustellen hat, dass die Träger des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit über ein hinreichendes Maß an Partizipation verfügen. Zugleich darf der Gesetzgeber anderen Statusgruppen wie den Studierenden, den akademischen sowie den Verwaltungs- und Technikmitarbeitenden durchaus Teilhabe einräumen, sofern ihre Mitwirkung nicht zu einer strukturellen Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit führt.
Zentrale Aussage des Bundesverfassungsgerichts
Das Gericht prüfte, ob die Regelungen des Thüringer Hochschulgesetzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsbeschwerde weitgehend unbegründet ist, allerdings teilweise Erfolg hat. Insbesondere die Gleichstellung der Stimmen der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung mit denjenigen der Lehre und Forschung zugeordneten Gruppen wurde als unvereinbar mit der Wissenschaftsfreiheit eingestuft. Nach Auffassung des Gerichts darf der Gesetzgeber zwar unterschiedliche Gruppen an der Hochschulselbstverwaltung beteiligen, muss jedoch dafür sorgen, dass Entscheidungen in wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten maßgeblich von Personen getroffen werden, deren Tätigkeit unmittelbar mit Forschung und Lehre verbunden ist. Diese Differenzierung soll gewährleisten, dass fachfremde Erwägungen die inhaltliche Qualität der wissenschaftlichen Arbeit nicht beeinträchtigen.
Besondere Aufmerksamkeit widmete das Gericht der Zusammensetzung des Senats und anderer zentraler Organe. Während für organisatorische und administrative Fragen eine gleichgewichtige Mitwirkung aller Gruppen als zulässig gilt, sind in Angelegenheiten, die Forschung und Lehre betreffen, deutliche Beteiligungsschwerpunkte bei den Hochschullehrenden erforderlich. Fehlt diese Struktur, droht eine Verwässerung der Verantwortung für wissenschaftsrelevante Entscheidungen. Das Stimmrecht der Mitarbeiter in Technik und Verwaltung war nach Ansicht des Gerichts deshalb übermäßig ausgestaltet und bedurfte der gesetzlichen Nachbesserung. Bis zur Neuregelung, spätestens bis zum 31. März 2027, sollen die betroffenen Vorschriften jedoch fortgelten, um die Funktionsfähigkeit der Hochschulen zu gewährleisten.
Praktische Bedeutung der Entscheidung für Hochschulen und andere Einrichtungen
Diese Entscheidung verdeutlicht, welche Spannungen sich aus dem Nebeneinander demokratischer Teilhabe und fachlicher Eigenverantwortung im Wissenschaftssystem ergeben. Für Hochschulen bedeutet das Urteil eine klare Orientierung: Strukturelle Entscheidungsrechte müssen so zugeteilt werden, dass wissenschaftliche Belange nicht von administrativen Interessen überlagert werden. Insbesondere für Leitungsgremien, Findungskommissionen und Hochschulräte ist sicherzustellen, dass wissenschaftsbezogene Fragen mit Mehrheitsbeteiligung der Lehrenden behandelt werden. Zugleich dürfen auch die Interessen der weiteren Hochschulangehörigen nicht vollständig ausgeblendet werden, da ein gelebtes Selbstverwaltungssystem auf Mitwirkung und Transparenz beruht.
Auch außerhalb des Hochschulbereichs ist die Entscheidung von Bedeutung. Einrichtungen des öffentlichen Sektors, Forschungseinrichtungen oder Universitätskliniken können ähnliche Fragen der Kompetenzverteilung zwischen wissenschaftlichem und administrativem Personal betreffen. Die Begründung des Gerichts unterstreicht, dass Teilhabeelemente, die fachfernen Gruppen zur Mitwirkung an inhaltlichen Entscheidungen berechtigen, immer verhältnismäßig ausgestaltet sein müssen. Organisationen, die ihre Gremienstrukturen überprüfen, sollten daher darauf achten, dass die Entscheidungswege die Kernaufgaben der Einrichtung nicht durch übermäßige Fremdbestimmung gefährden. Der verfassungsrechtliche Maßstab liegt somit in der Sicherung der Funktionsfähigkeit wissenschaftlicher Selbststeuerung, nicht in der bloßen Abbildung aller Interessengruppen in gleichgewichtiger Weise.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Beschluss die Anforderungen an eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation präzisiert. Der Gesetzgeber darf organisatorisch unterschiedliche Gruppen einbinden, muss jedoch dafür Sorge tragen, dass in wissenschaftsrelevanten Fragen die Stimme der Lehrenden das entscheidende Gewicht behält. Für Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen ergibt sich daraus die Verpflichtung, ihre Satzungen und Wahlordnungen auf mögliche Konflikte mit den Vorgaben aus Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz zu überprüfen. Auch die Verwaltung sollte ihre Beteiligungsprozesse so gestalten, dass Fachentscheidungen weiterhin wissenschaftsbasiert getroffen werden. Schon aus Gründen der Effizienz und Qualitätssicherung empfiehlt es sich, klare Zuständigkeitsstrukturen zu schaffen, die die Verantwortung für Forschung und Lehre eindeutig den hierfür qualifizierten Akteuren zuordnen.
Für kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere in Bereichen mit Forschungs- und Entwicklungsbezug, lässt sich aus dieser Entscheidung die Lehre ziehen, dass interne Entscheidungsprozesse eine sachgerechte Kompetenzzuweisung erfordern. Wenn technologische oder fachliche Entwicklungen unmittelbar den Unternehmenserfolg bestimmen, sollten Entscheidungen darüber vorrangig von Mitarbeitenden mit entsprechender Qualifikation getroffen werden. Eine Überstrukturierung durch administrative Ebenen kann Innovationsprozesse hemmen, ähnlich wie zu starke Mitwirkung fachfremder Gruppen die wissenschaftliche Selbstverwaltung einschränken kann.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der Optimierung ihrer Prozesse sowohl rechtlich als auch organisatorisch. Durch den gezielten Einsatz digitaler Buchhaltungs- und Verwaltungsprozesse helfen wir unseren Mandantinnen und Mandanten, Strukturen zu schaffen, die Transparenz, Effizienz und Kostenkontrolle fördern. Langjährige Erfahrung in der Digitalisierung und Prozessoptimierung ermöglicht uns, die rechtlichen und organisatorischen Anforderungen moderner Unternehmensführung wirksam miteinander zu verbinden.
Gerichtsentscheidung lesen