Fernabsatzrecht und Mandatsvertrag: rechtliche Grundlagen
Das Landgericht Flensburg hat mit Urteil vom 9. Oktober 2025 (Az. 4 O 80/25) klargestellt, dass ein im Fernabsatz geschlossener Mandatsvertrag widerrufen werden kann. Dies betrifft insbesondere Situationen, in denen die Mandatierung einer Rechtsanwaltskanzlei ausschließlich über elektronische Kommunikationsmittel wie E-Mail erfolgt. Ein Fernabsatzgeschäft ist ein Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien geschlossen wird und bei dem ausschließlich Fernkommunikationsmittel genutzt werden. Diese rechtliche Definition aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch räumt Verbraucherinnen und Verbrauchern ein besonders starkes Widerrufsrecht ein, das in der Praxis bislang häufig unterschätzt wurde.
Im konkreten Fall wurde eine ehemalige Geschäftsführerin einer GmbH vom Finanzamt für Säumniszuschläge in Haftung genommen und beauftragte über E-Mail eine Kanzlei mit ihrer Vertretung. Bereits wenige Stunden nach Mandatserteilung erhielt sie eine Honorarnote über mehr als 20.000 Euro. Noch am selben Tag kam es zu Differenzen über die Höhe der Vergütung, woraufhin die Kanzlei das Mandat niederlegte. Die Mandantin erklärte daraufhin den Widerruf des Vertrages. Das Gericht bestätigte diesen Widerruf als wirksam und stellte fest, dass die Betroffene als Verbraucherin zu behandeln sei.
Verbrauchereigenschaft ehemaliger Geschäftsführender
Die Frage, ob eine ehemalige Geschäftsführerin einer GmbH im Rahmen eines Mandatsvertrages als Verbraucherin gilt, ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Verbraucherin ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Das Landgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Betroffene zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr in der Organstellung der Gesellschaft tätig war und die anwaltliche Vertretung der eigenen Haftungsangelegenheit diente. Es handelte sich somit nicht um ein Geschäft im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit, sondern um eine private Rechtsangelegenheit. Damit konnte die Mandantin das Widerrufsrecht in Anspruch nehmen.
Für Unternehmen, Freiberuflerinnen und insbesondere für Kanzleien, die einen hohen Anteil an digitalisierten Abläufen und Online-Mandatierungen aufweisen, verdeutlicht das Urteil, dass sie die Einordnung der Mandantschaft und den Informationspflichten besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Die rechtliche Qualifikation einer Person als Verbraucherin ist nicht vom äußeren Erscheinungsbild oder einer früheren beruflichen Stellung abhängig, sondern vom konkreten Zweck des Auftrags.
Informationspflichten und Folgen eines unterlassenen Widerrufshinweises
Das Gericht beanstandete besonders, dass die Kanzlei keine korrekte Widerrufsbelehrung erteilt hatte. Nach den gesetzlichen Vorgaben beginnt die Widerrufsfrist nur dann zu laufen, wenn eine ordnungsgemäße Belehrung über das Bestehen, die Bedingungen und die Fristen des Widerrufsrechts erfolgt ist. Wird diese Belehrung unterlassen, kann der Vertrag über einen langen Zeitraum widerrufen werden – mit der Folge, dass selbst bereits erbrachte Leistungen unter Umständen nicht vergütet werden dürfen. Diese rechtliche Konsequenz kann für Dienstleistende gravierend sein, insbesondere wenn hochpreisige Beratungen bereits vollständig erbracht wurden.
Für kleine und mittelständische Betriebe, die ihre Dienstleistungen zunehmend digital anbieten, etwa Steuerkanzleien oder Online-Beratungsunternehmen, ist der Fall ein warnendes Beispiel. Eine systematische und dokumentierte Widerrufsbelehrung sollte fester Bestandteil jedes digitalen Vertragsabschlusses sein. Auch bei Online-Onboarding-Prozessen, in denen Mandantendaten über Plattformen erfasst werden, ist zu gewährleisten, dass der Mandant oder die Mandantin den Inhalt der Belehrung aktiv bestätigt. Nur so kann nachweislich sichergestellt werden, dass die Frist ordnungsgemäß in Gang gesetzt wird.
Praktische Konsequenzen für Kanzleien und Unternehmen
Die Entscheidung schafft Klarheit, aber auch neuen Handlungsbedarf für Kanzleien und andere beratende Unternehmen. Einerseits wird der Schutz der Verbraucherrechte gestärkt, andererseits entsteht ein erhöhtes Risiko für Dienstleistende, wenn Vertragsabschlüsse digital erfolgen und formale Anforderungen missachtet werden. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung, in dem E-Mail-Kommunikation und Online-Vertragsabschlüsse Standard sind, sollte jedes Unternehmen seine internen Abläufe auf rechtliche Konformität prüfen. Eine klar strukturierte Prozesskette von der Mandatsannahme über die digitale Identifikation bis zur ordnungsgemäßen Dokumentation des Widerrufshinweises vermeidet spätere rechtliche Unsicherheiten.
Unternehmen im Dienstleistungssektor, die häufig mit Verbraucherinnen und Verbrauchern in rechtlichen, steuerlichen oder finanziellen Angelegenheiten kommunizieren, sollten ihre Standardverträge regelmäßig rechtlich prüfen lassen. Wichtig ist zudem, in allen Vertragsvorlagen eindeutig zu regeln, wann die Leistungserbringung vor Ablauf der Widerrufsfrist ausdrücklich gewünscht wird, da nur dann ein Anspruch auf Vergütung bestehen kann, wenn der Widerruf innerhalb der gesetzlichen Frist erfolgt.
Fazit: Bedeutung für digitale Dienstleistungsverhältnisse
Das Urteil des Landgerichts Flensburg unterstreicht eindrücklich, dass die Digitalisierung zwar Effizienz schafft, jedoch die rechtliche Sorgfalt nicht ersetzt. Wer Mandate elektronisch annimmt, muss die Grenzen zwischen Verbrauchervertrag und gewerblichem Auftrag klar ziehen und seine Informationspflichten gewissenhaft erfüllen. Für die betroffene Kanzlei hatte die fehlende Belehrung unmittelbare wirtschaftliche Folgen – für andere Unternehmen bietet der Fall dagegen die Chance, Prozesse rechtssicher zu gestalten und rechtliche Risiken vorzubeugen. Wir begleiten kleine und mittelständische Unternehmen bei der Optimierung solcher Abläufe und unterstützen dabei, Buchhaltungs- und Verwaltungsprozesse zu digitalisieren, um so Effizienzgewinne und nachhaltige Kostenersparnisse zu erzielen. Unsere langjährige Erfahrung in der Prozessoptimierung zeigt, dass juristische und administrative Sicherheit Hand in Hand mit wirtschaftlicher Effizienz gehen kann.
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