Neue steuerliche Rahmenbedingungen für Organschaften nach der Verlustabzugssperre
Die aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Juli 2025 (Az. I R 20/22) bringt wichtige Klarstellungen zur Verlustabzugssperre bei Organschaften. Im Kern geht es um die Anwendung des § 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Körperschaftsteuergesetzes und dessen zeitliche Geltung nach der Neufassung durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts von 2013. Besonders relevant ist diese Entscheidung für Kapitalgesellschaften, die Teil einer ertragsteuerlichen Organschaft sind, und deren Einkünfte auch in ausländischen Steuerhoheiten berücksichtigt werden. Das Urteil betrifft unmittelbar die Frage, ob Verluste, die im Rahmen einer ausländischen Besteuerung bereits steuermindernd berücksichtigt wurden, in Deutschland nochmals in Ansatz gebracht werden dürfen. Damit wird ein zentrales Prinzip der steuerlichen Verlustverrechnung bei international verflochtenen Unternehmensstrukturen neu konturiert.
Die zentrale gesetzliche Grundlage, § 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Körperschaftsteuergesetz, enthält ein Abzugsverbot für Verluste inländischer Organträger oder Organgesellschaften, soweit diese im Ausland bei einer der deutschen Körperschaftsteuer vergleichbaren Ertragsbesteuerung bereits berücksichtigt wurden. Hintergrund dieser Regelung ist die Vermeidung einer doppelten Verlustnutzung, also einer mehrfachen Minderung steuerlicher Bemessungsgrundlagen durch ein und denselben Verlust. Das Bundesministerium der Finanzen hatte die Regelung seit 2013 mit Rückwirkung auf alle offenen Veranlagungen angewendet. Die Frage nach der Zulässigkeit dieser rückwirkenden Anwendung war zentraler Streitpunkt, über den nun der BFH entschieden hat.
Auslegung und rechtliche Herleitung der BFH-Argumentation
Mit seiner Entscheidung stellte der BFH klar, dass die rückwirkende Anwendung des § 14 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Körperschaftsteuergesetz auf nicht bestandskräftig veranlagte Fälle zulässig ist. Der Gerichtshof sah darin keine verfassungswidrige Rückwirkung und verneinte das Vorliegen einer verdeckten Regelungslücke. Dieses Ergebnis gründet auf einer gründlichen Gesetzesauslegung entlang des Wortlauts und der Gesetzgebungsgeschichte. Aus Sicht des BFH wollte der Gesetzgeber ausdrücklich sicherstellen, dass die Verlustabzugssperre für alle Fälle gilt, in denen noch keine bestandskräftigen Bescheide vorliegen. Ziel war die Schaffung eines unionsrechtskonformen Gleichlaufs zwischen der Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs der Organschaft auf EU-/EWR-Gesellschaften und der Einschränkung der Verlustverrechnung.
Wesentlich war für den BFH, dass die Regelung unabhängig davon gilt, ob der Organträger oder die Organgesellschaft ausschließlich in Deutschland ansässig ist oder zugleich einer ausländischen Besteuerung unterliegt. Damit erweitert der BFH den Anwendungsbereich erheblich, denn auch rein inländische Organschaften können betroffen sein, sofern eine Verlustberücksichtigung im Ausland – etwa aufgrund von Informationsaustausch oder Konzernzurechnungsmechanismen – stattgefunden hat. Wichtig ist, dass der BFH zugleich die Anwendbarkeit der Vorschrift auf die Ermittlung des Gewerbeertrags bestätigte. Die Verlustabzugssperre sei Bestandteil der Gewinnermittlungsvorschriften, auf die auch das Gewerbesteuergesetz durch Verweis Bezug nimmt. Somit wirkt die Regelung nicht nur körperschaftsteuerlich, sondern ebenso gewerbesteuerlich.
In seiner Begründung betont der BFH die teleologische Auslegung der Vorschrift: Sie dient der Sicherung der steuerlichen Gleichbehandlung von Unternehmen, die international operieren, und der Vermeidung doppelter steuerlicher Vorteile. Die Verlustabzugssperre sei kein Eingriff in den originären Gewinnermittlungsprozess, sondern eine Korrekturvorschrift mit spezifischem Anwendungsfeld. Auch das vielzitierte Territorialitätsprinzip, wonach die Gewerbesteuer nur inländische Sachverhalte erfassen soll, steht nach Auffassung des Gerichts der Anwendung nicht entgegen. Entscheidend sei nicht der geografische Ort der Verlustentstehung, sondern ob die negativen Einkünfte inländischer Betriebsstätten im Ausland steuerlich verwertet wurden.
Praktische Bedeutung für Unternehmen und Branchen
Für inländische Mittelständler, Kapitalgesellschaften und insbesondere für Unternehmen mit ausländischen Konzernverflechtungen hat das Urteil einschneidende Konsequenzen. Kleine und mittlere Unternehmen, die als Organträger innerhalb einer Unternehmensgruppe mit ausländischen Anteilseignern agieren, müssen damit rechnen, dass steuerliche Verluste nicht mehr unbeschränkt im Inland abziehbar sind, sofern sie bereits in einem anderen Steuerstaat abschließend berücksichtigt wurden. Dies gilt etwa für international vernetzte Onlinehändler, Pflegeeinrichtungen mit Auslandsgesellschaften oder Krankenhäuser mit Trägerstiftungen in Nachbarstaaten. Auch bei Unternehmensverbünden, die nach der sogenannten Check-the-Box-Regelung in den Vereinigten Staaten tätig sind, können Verluste, die dort bereits auf Ebene der Muttergesellschaft steuerwirksam verrechnet wurden, in Deutschland nicht nochmals angesetzt werden.
Für Steuerberatungskanzleien und Finanzabteilungen heißt dies, dass zukünftig eine präzise Nachweisführung erforderlich ist, ob und in welchem Umfang Verluste tatsächlich im Ausland steuerlich berücksichtigt wurden. Zusätzliche Komplexität entsteht bei der Anwendung der Verlustabzugssperre auf Ebene der Gewerbesteuer, da hierdurch auch kommunale Steuerlasten beeinflusst werden. Bei Organschaften im Medizin- und Pflegebereich, die häufig in komplexe Trägerstrukturen eingebunden sind, gewinnt die transparente Dokumentation der Quellenbesteuerung im Ausland zunehmend an Relevanz. Ebenso sollten Onlinehändler mit internationaler Rechnungsstruktur ihre Ertragsabgrenzungen und Gewinnermittlungen prüfen, um unnötige Doppelkorrekturen zu vermeiden.
Auch die zeitliche Komponente des Urteils ist von Bedeutung: Der BFH akzeptiert ausdrücklich die Rückwirkung der Vorschrift auf alle offenen Veranlagungszeiträume vor 2013. Das kann dazu führen, dass Finanzämter ältere Steuerbescheide im Rahmen von Außenprüfungen anpassen, sofern sie noch nicht bestandskräftig sind. Daher empfiehlt sich für Unternehmen, rechtzeitig zu prüfen, ob sie sich auf bestandskräftige Bescheide berufen können oder gegebenenfalls Anträge auf verbindliche Auskunft stellen sollten. In grenzüberschreitenden Organschaftsstrukturen ist eine enge Abstimmung zwischen deutscher und ausländischer Steuerberatung unabdingbar, um die Auswirkungen auf Verlustvorträge und -rückträge sachgerecht zu kalkulieren.
Perspektiven und Handlungsempfehlung für die Praxis
Das Urteil bringt mehr Rechtssicherheit, schränkt aber zugleich die steuerlichen Gestaltungsspielräume deutlich ein. Wer international tätig ist, kann Verluste künftig nur dort steuerlich verwerten, wo sie tatsächlich wirtschaftlich getragen werden. Der BFH stärkt damit den systematischen Grundsatz der Einmalbesteuerung von Erträgen und die Beschränkung des Verlustausgleichs auf eine Steuerjurisdiktion. Für kleine und mittelständische Unternehmen, die zunehmend digitale oder internationale Geschäftsmodelle umsetzen, bedeutet dies eine Anpassung der internen Steuerplanung und Buchhaltungsprozesse. Die Dokumentation steuerlicher Verlustverläufe gewinnt als Teil der Compliance eine neue Qualität. Besonders bei digitalisierten Buchhaltungssystemen sollten die Prozesse darauf ausgerichtet werden, länderübergreifende Verlustverläufe automatisiert nachvollziehen zu können.
Unter dem Strich betont die Entscheidung, dass steuerliche Transparenz und die Vermeidung doppelter Verlustnutzung künftig höher gewichtet werden. Das gilt über alle Branchen hinweg – von Pflegeeinrichtungen über Industrieunternehmen bis hin zu Onlinehändlern. Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung solcher steuerlichen Anforderungen, insbesondere im Bereich der Prozessoptimierung und der digitalen Transformation von Buchhaltungs- und Steuerabläufen. Durch gezielte Digitalisierung und effiziente Prozessstrukturen lassen sich nicht nur steuerliche Risiken minimieren, sondern auch erhebliche Kostenersparnisse realisieren, die die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken.
Gerichtsentscheidung lesen