Neuer Rechtsrahmen für die Vaterschaftsanfechtung
Mit dem aktuellen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Vaterschaftsanfechtung reagiert der Gesetzgeber auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die bisherige Rechtslage für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Das Gericht hatte beanstandet, dass leibliche Väter bislang in bestimmten Fällen keine ausreichende rechtliche Möglichkeit hatten, die Vaterschaft anzufechten, wenn ein anderer Mann bereits als rechtlicher Vater gilt und eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind führt. Diese Lücke verletzte nach Auffassung der Verfassungsrichter das Elterngrundrecht, das in Artikel 6 des Grundgesetzes verankert ist. Das Bundeskabinett hat deshalb einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Balance zwischen den verschiedenen Grundrechtspositionen – denen des Kindes, der Mutter, des rechtlichen und des leiblichen Vaters – neu austariert.
Ziel der geplanten Neuregelung ist es, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass alle Beteiligten angemessen geschützt werden. Im Mittelpunkt steht dabei stets das Kindeswohl. Die Familiengerichte sollen künftig die altersgerechte und emotionale Situation des Kindes stärker in ihre Abwägung einbeziehen, um tragfähige und dem Einzelfall gerecht werdende Entscheidungen treffen zu können.
Kernpunkte der geplanten Gesetzesänderungen
Der Gesetzentwurf sieht mehrere wesentliche Änderungen des bestehenden Abstammungsrechts vor. Eine der zentralen Neuerungen ist die sogenannte Anerkennungssperre. Danach kann ein Mann während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft die Vaterschaft für dasselbe Kind nicht mehr wirksam anerkennen. Diese Regel soll verhindern, dass ein sogenannter „Wettlauf um die Vaterschaft“ entsteht, bei dem mehrere Männer rechtliche Vaterpositionen anstreben, bevor das Gericht über die tatsächlichen biologischen Verhältnisse entscheidet. Erfolgt eine Anerkennung nach Einreichung eines gerichtlichen Feststellungsantrags, so ist diese Anerkennung künftig schwebend unwirksam, bis das Verfahren abgeschlossen ist.
Darüber hinaus differenziert der Entwurf künftig stärker zwischen Kindern, die noch minderjährig sind, und solchen, die bereits volljährig geworden sind. Bei minderjährigen Kindern steht im Mittelpunkt, ob eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater besteht. Dieser Begriff beschreibt eine tatsächliche gelebte Eltern-Kind-Beziehung, geprägt von Fürsorge, gemeinsamer Alltagsgestaltung und emotionaler Bindung. Besteht keine solche Beziehung, soll die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater weiterhin grundsätzlich möglich sein. In Fällen, in denen der rechtliche Vater erst seit kurzer Zeit besteht – weniger als ein Jahr –, wird das Gesetz eine widerlegbare Vermutung aufstellen, dass eine sozial-familiäre Beziehung noch nicht gewachsen ist.
Komplexer wird die Rechtslage, wenn eine soziale Beziehung bereits besteht. In diesen Fällen bleibt die Anfechtung künftig möglich, wenn bestimmte Konstellationen vorliegen, etwa wenn auch zwischen dem Kind und dem leiblichen Vater eine enge soziale Bindung besteht oder bestanden hat und diese ohne sein Verschulden verloren ging. Ebenso wird berücksichtigt, wenn sich der leibliche Vater ernsthaft um Kontakt bemüht, dieser aber scheitert, etwa weil der rechtliche Vater oder die Mutter den Zugang verweigern. Schließlich bleibt auch eine Anfechtung zulässig, wenn ihre Verwehrung aus anderen Gründen grob unbillig wäre. Vorrang hat jedoch immer das Kindeswohl, das die Familiengerichte individuell bewerten müssen.
Zweite Chance und konsensuale Lösungen
Ein weiterer Reformpunkt betrifft die Einführung einer sogenannten zweiten Chance für leibliche Väter. Damit wird dem verfassungsgerichtlichen Auftrag entsprochen, Verfahren zu schaffen, die auch nach zunächst erfolgloser Anfechtung eine Überprüfung ermöglichen. Künftig kann ein leiblicher Vater die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Anfechtungsverfahrens beantragen, wenn sich die familiären Umstände geändert haben – insbesondere, wenn die sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und dem bisherigen rechtlichen Vater endet oder wenn er selbst eine familiäre Bindung zum Kind aufbauen konnte. Zwischen der Rechtskraft des früheren Beschlusses und dem neuen Wiederaufnahmeantrag müssen mindestens zwei Jahre vergangen sein.
Einen praktisch bedeutsamen Fortschritt bringt zudem die Möglichkeit, dass ein leiblicher Vater rechtlicher Vater werden kann, wenn alle Beteiligten – Mutter, Kind und bisheriger rechtlicher Vater – der Anerkennung zustimmen. Diese Vereinfachung ersetzt ein bisher notwendiges gerichtliches Anfechtungsverfahren, das oftmals nur formellen Charakter hatte und damit unnötige Belastungen verursachte. Diese Öffnung für einvernehmliche Lösungen entspricht dem Grundgedanken eines modernen Familienrechts, das Kooperation und gemeinsame Verantwortung in den Vordergrund stellt.
Praktische Bedeutung für die Rechts- und Beratungspraxis
Für Beratende im familienrechtlichen Umfeld wird der künftige Umgang mit Fällen der Vaterschaftsanfechtung deutlich differenzierter. Gerade für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Notarinnen und Notare bedeutet das, die neuen Verfahrensvoraussetzungen präzise zu prüfen, etwa ob die Anerkennung einer Vaterschaft während eines laufenden Verfahrens wirksam ist oder wie die sozial-familiären Beziehungen im Einzelfall nachgewiesen werden können. Familiengerichte werden stärker als bisher auf die kindliche Perspektive eingehen müssen, woraus sich erhöhte Anforderungen an die Verfahrensbegleitung, psychologische Gutachten und die mediale Vermittlung ergeben.
Unternehmen aus der Sozialwirtschaft, wie etwa Pflegeeinrichtungen oder Kliniken, sollten im Personalwesen und in der Sozialberatung künftig ein verstärktes Bewusstsein für die zivilrechtlichen Auswirkungen solcher familiären Konstellationen entwickeln, etwa im Rahmen der Elternzeit oder bei der Lohnsteuerklassifizierung von Mitarbeitenden. Auch Arbeitgeber können durch die Neuregelung indirekt betroffen sein, wenn sich durch eine spätere rechtliche Änderung der Vaterschaft steuer- oder unterhaltsrelevante Pflichten ergeben. Daher ist es ratsam, interne Prozesse so zu gestalten, dass Änderungen in der familiären Statuszuordnung rechtzeitig in die Personal- und Abrechnungssysteme aufgenommen werden.
Fazit und Ausblick
Mit der Neuregelung wird ein entscheidender Schritt zu einem verfassungskonformen, modernen Abstammungsrecht vollzogen. Die Reform stärkt die Rechte leiblicher Väter, ohne den Schutz des Kindeswohls zu schwächen. Sie fördert zugleich ein gerechteres System, das biologische Realität, soziale Verantwortung und rechtliche Stabilität miteinander in Einklang bringt. Familiengerichte, Beratende und auch Institutionen werden künftig stärker gefordert sein, die individuellen Lebenslagen differenziert zu bewerten und im Sinne des Kindeswohls zu entscheiden.
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