Rechtssicherheit bei unklaren Klauseln in der Verkehrsrechtsschutzversicherung
Mit seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2025 (Az. IV ZR 86/24) hat der Bundesgerichtshof die Auslegung von Versicherungsbedingungen in der Verkehrsrechtsschutzversicherung grundlegend präzisiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, in welchem Umfang eine Versicherung Deckungsschutz gewährt, wenn die zugrunde liegenden Bedingungen für durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht eindeutig formuliert sind. Diese Frage ist insbesondere für Unternehmen relevant, die ihre geschäftlich genutzten Fahrzeuge absichern, sowie für Steuerberatende, die Mandanten hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Versicherungsbeiträgen beraten. Der Beschluss betont die Bedeutung klarer Vertragsgestaltung und unterstreicht, dass Unklarheiten in standardisierten Versicherungsbedingungen („Allgemeine Versicherungsbedingungen“) nach § 305c Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch stets zu Lasten des Versicherers gehen.
Damit hat der Bundesgerichtshof einmal mehr die Schutzfunktion des AGB-Rechts hervorgehoben, die darauf abzielt, die strukturelle Unterlegenheit der Versicherten im Vergleich zum Versicherungsunternehmen auszugleichen. Gerade in der Praxis kleiner und mittelständischer Unternehmen kann eine solche Entscheidung direkte Auswirkungen haben, etwa bei Streitigkeiten über den Versicherungsschutz infolge eines Fahrzeugerwerbs oder bei der Risikoabsicherung des betrieblichen Fuhrparks.
Hintergrund des Rechtsstreits und Bedeutung für die Praxis
Dem Urteil lag ein Fall zugrunde, bei dem eine Versicherungsnehmerin nach Erwerb eines Dieselfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung Klage gegen die Fahrzeugherstellerin erheben wollte. Die zuständige Rechtsschutzversicherung verweigerte jedoch die Deckungszusage mit der Begründung, der konkrete Rechtsstreit falle nicht unter den vereinbarten Versicherungsschutz. Nach Auffassung des Versicherers sei der Schutz ausschließlich auf bereits zugelassene Fahrzeuge beschränkt gewesen. Die Versicherungsnehmerin sah darin eine unzulässige Einschränkung und berief sich auf den Wortlaut der einschlägigen Versicherungsbedingungen, insbesondere der §§ 21 und 23 der Verkehrsrechtsschutzbedingungen (VRB 1994).
Das erstinstanzliche Gericht gab der Versicherten Recht und stellte fest, dass Deckungsschutz auch für den Erwerbsvorgang selbst besteht, wenn das neue Fahrzeug in die Gruppe der bereits versicherten Fahrzeuge fällt. In der Berufungsinstanz sah das Oberlandesgericht dies anders und verneinte den Versicherungsschutz. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und stellte klar, dass die verwendeten Klauseln mehrdeutig seien. Ein Versicherungsnehmer könne den Bedingungen nicht eindeutig entnehmen, dass der Erwerbsvorgang eines Ersatzfahrzeugs vom Schutz ausgeschlossen sei. Folglich müsse nach der Auslegungsregel des § 305c Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch im Zweifel die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegung gelten.
Auslegungsgrundsätze und Konsequenzen für Versicherer
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Versicherungsunternehmen bei der Formulierung ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen besonders sorgfältig vorgehen müssen. Maßstab ist stets die Verständnisperspektive eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der über kein vertieftes juristisches Fachwissen verfügt, aber den Wortlaut aufmerksam liest. Der Bundesgerichtshof stellte heraus, dass der Versicherungsschutz bei der Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers durchaus umfasst ist, wenn in den Bedingungen ausdrücklich von „Rechtsschutzfällen im Zusammenhang mit dem Erwerb des Fahrzeugs“ die Rede ist. Dies schließt auch Schadensersatzansprüche gegen Fahrzeughersteller ein, etwa bei der Inanspruchnahme aufgrund unzulässiger Abschalteinrichtungen.
Für Unternehmen, die mehrere Fahrzeuge unterhalten, stellt sich die praktische Frage, ob ihre Verkehrsrechtsschutzversicherung ebenfalls entsprechende Lücken aufweist. Gerade beim Hinzuerwerb neuer Fahrzeuge im Rahmen von Betriebsumstellungen, Leasingmodellen oder der Modernisierung des Fuhrparks sollten bestehende Versicherungsverträge kritisch geprüft werden. Unklare oder mehrdeutige Formulierungen können im Streitfall zu erheblichen Deckungslücken führen, wodurch Unternehmen unvorhergesehene Prozesskosten tragen müssten. Mit dieser Entscheidung sind Versicherer angehalten, ihre Bedingungen so zu gestalten, dass eine eindeutige Abgrenzung des gedeckten Risikobereichs möglich ist.
Praktischer Mehrwert für Unternehmen und rechtssichere Gestaltung
Für kleine und mittelständische Betriebe, die häufig ihren Fuhrpark flexibel anpassen, ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein deutlicher Hinweis, Versicherungsverträge systematisch anhand der tatsächlichen Nutzungsszenarien zu prüfen. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten sich nicht allein auf Standardverträge verlassen, sondern eine juristische oder steuerliche Begleitung in Anspruch nehmen, um den Versicherungsschutz optimal an den Geschäftsbetrieb anzupassen. Dabei kann es hilfreich sein, bei Vertragsverhandlungen auf präzise Formulierungen zu achten, die den Schutz bei Erwerb, Verkauf oder Ersatzbeschaffung von Fahrzeugen klar definieren. Ebenso relevant ist die regelmäßige Aktualisierung der Policen, etwa wenn sich die Anzahl oder Art der Fahrzeuge ändert.
Darüber hinaus offenbart die Entscheidung zugleich eine Parallele zu allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts: Je komplexer die Vertragsstruktur, desto größer das Risiko einer uneinheitlichen Auslegung. Das betont, wie wichtig verständlich formulierte Vertragswerke sind, die sich an den Bedürfnissen der Versicherten orientieren. Unternehmen profitieren von einer transparenten Vertragsgestaltung nicht nur im Hinblick auf Rechtsschutzversicherungen, sondern generell bei der Risikoabsicherung und der Optimierung interner Prozesse. Insbesondere Onlinehändler oder Pflegeeinrichtungen, die branchenspezifische Fahrzeugflotten betreiben, können aus der Entscheidung ableiten, dass präzise Vertragsprüfung Kostensicherheit und Planbarkeit bietet.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das Urteil des Bundesgerichtshofs stärkt die Position von Versicherungsnehmern und stellt klar, dass unklare Formulierungen in Versicherungsbedingungen stets zu Lasten des Versicherers gehen. Für Unternehmen bedeutet dies eine verbesserte Rechtssicherheit, sofern sie ihre Verträge bewusst prüfen und pflegen. In einem Umfeld, in dem finanzielle Risiken und juristische Ansprüche zunehmend komplexer werden, ist es ratsam, interne Prozesse zur Vertragsprüfung zu digitalisieren und zu standardisieren. Unser Kanzleiteam unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Prozessoptimierung, insbesondere in der Buchhaltung und im Vertragsmanagement. Durch strukturierte digitale Abläufe lassen sich Kosten erheblich reduzieren und rechtliche Risiken frühzeitig erkennen, was zu einer nachhaltigen Effizienzsteigerung im gesamten Unternehmen führt.
Gerichtsentscheidung lesen