Ausgangslage und Kernaussagen der Entscheidung
Die gesetzliche Unfallversicherung ist ein zentraler Bestandteil der sozialen Absicherung in Deutschland. Sie tritt ein, wenn Personen durch eine berufliche Tätigkeit einen Unfall erleiden. Der Schutz umfasst jedoch nicht nur klassische Arbeitnehmer, sondern auch Sondergruppen, etwa ehrenamtlich Tätige oder Unternehmer in besonderen Konstellationen. Mit Urteil vom 24. September 2025 (Az. B 2 U 12/23 R) hat das Bundessozialgericht eine praxisrelevante Weichenstellung vorgenommen, die gerade für Unternehmer von Bedeutung ist, die in betrieblich organisierten Teams tätig werden.
Im konkreten Fall hatte ein Kandidat der Fernsehsendung „Wetten, dass..?“ schwere Verletzungen erlitten. Er galt zunächst weder als klassischer Arbeitnehmer noch als ehrenamtlich Tätiger, sodass er zunächst nicht gesetzlich unfallversichert schien. Das Gericht verwies jedoch die Sache zurück an das Landessozialgericht mit der Maßgabe zu prüfen, ob der Geschädigte als Unternehmer seines Wett-Teams nicht doch wie ein Versicherter behandelt werden müsse. Entscheidend war die Überlegung, dass nicht versicherte Unternehmer wie Versicherte einzustufen sind, wenn ein Unfall durch andere in ihrem Betrieb Tätige verursacht wird und kein zivilrechtlicher Ausschluss der Ersatzpflicht vorliegt.
Juristische Einordnung der Entscheidung
Die gesetzliche Grundlage für den Versicherungsschutz findet sich im Siebten Buch Sozialgesetzbuch. In § 2 sind die versicherten Tätigkeiten normiert. Neben Arbeitnehmern können auch weitere Personengruppen Versicherungsschutz genießen, wenn sie Tätigkeiten ausüben, die einem Beschäftigungsverhältnis gleichkommen. Zentral ist zudem § 8, der den Arbeitsunfall definiert, und § 105, der eine Haftungsbeschränkung unter im Betrieb tätigen Personen vorsieht. Diese Regelungen schaffen die Basis, um auch Unternehmer in den Schutz einzubeziehen, wenn eine betriebliche Tätigkeit ursächlich für den Schaden war.
Das Bundessozialgericht nahm hier eine weite Auslegung des Unternehmerbegriffs im Rahmen der Unfallversicherung vor. Demnach können nicht nur klassische Unternehmer im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch Organisatoren von Teams wie der Kläger als Unternehmer betrachtet werden. Dies hat erhebliche Bedeutung, weil die Zurechnung einer „betrieblichen Tätigkeit“ im weiteren Sinne über die Art und den Zweck der Zusammenarbeit definiert wird.
Praktische Relevanz für Unternehmen
Die Tragweite dieser Rechtsprechung ist nicht nur auf außergewöhnliche Fälle wie eine Fernsehshow beschränkt. Auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie in Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegebereichs können ähnliche Konstellationen auftreten. Stellen wir uns beispielsweise ein Pflegeheim vor, in dem ein nicht klassisch angestellter, aber organisatorisch eingebundener Projektleiter einen Unfall erleidet, verursacht durch ein anderes Teammitglied. Nach der aktuellen Rechtsauffassung besteht die Möglichkeit, dass dieser Projektleiter in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt, auch wenn er formal nicht gesetzlich versichert war. Besonders für Onlinehändler und Unternehmer mit projektorientierter Teamstruktur stellt sich somit die Frage nach der Absicherung in hybriden oder untypischen Beschäftigungsformen.
Für Unternehmen ist es daher dringend empfehlenswert, ihre internen Strukturen kritisch zu prüfen. Zum einen, um mögliche Versicherungslücken zu erkennen, die im Haftungsfall zu erheblichen Problemen führen können. Zum anderen, um mit der gesetzlichen Unfallversicherung im Einklang zu stehen und Streitigkeiten über den Versicherungsstatus zu vermeiden. Gerade in Konstellationen mit freien Mitarbeitern, Subunternehmern oder familiengeführten Betrieben gewinnen die Kriterien der Unfallversicherung an praktischer Relevanz. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass die Sozialgerichtsbarkeit in bestimmten Fällen auch unternehmerische Tätigkeiten in den Versicherungsschutz miteinbezieht, wenn ein Unfall eng mit betrieblicher Organisation verknüpft ist.
Konsequenzen und Handlungsempfehlungen
Für die Praxis lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen:
- Die Abgrenzung zwischen Beschäftigten, ehrenamtlich Tätigen und Unternehmern wird zunehmend fließender, wenn es um den Anwendungsbereich der Unfallversicherung geht.
- Besonders in familiengeführten Unternehmen oder projektbezogenen Teams sollte geprüft werden, ob eine faktische Eingliederung oder organisatorische Abhängigkeit im Sinne des Gesetzgebers vorliegt.
- Der Abschluss zusätzlicher Unfallversicherungen für bestimmte Tätigkeitsfelder kann eine sinnvolle Ergänzung darstellen, um Lücken in der gesetzlichen Versorgung zu vermeiden.
- Juristisch wird die Unfallversicherung immer stärker auch unter Gesichtspunkten der betrieblichen Organisation interpretiert, was für die Beratungspraxis von Unternehmen eine größere Rolle spielt.
Unternehmen aller Branchen sollten sich frühzeitig mit dem Thema auseinandersetzen und ihre Verträge, internen Regelungen sowie Abläufe auf mögliche Risiken hin analysieren. Gerade kleine Unternehmen und mittelständische Betriebe riskieren ansonsten erhebliche finanzielle Belastungen im Schadensfall.
Fazit und Ausblick
Die aktuelle Entscheidung zeigt eindrücklich, dass Unfallversicherungsschutz nicht auf traditionelle Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisse beschränkt ist. Vielmehr wird der Blick vermehrt auf die tatsächliche Struktur einer Tätigkeit gerichtet. Für Unternehmen eröffnet dies Chancen, aber auch Pflichten, da die eigene Organisation und die Zusammenarbeit mit Dritten unmittelbare Auswirkungen auf den Versicherungsschutz haben können. Besonders im Zuge zunehmender Projektarbeit, Kooperationen und flexibler Beschäftigungsformen gewährleisten klare Strukturen und eine kritische Prüfung der Versicherungssituation Sicherheit für alle Beteiligten. Unsere Kanzlei berät kleine und mittelständische Unternehmen bei der Prozessoptimierung in der Buchhaltung sowie bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und zeigt praxisnah auf, welche erheblichen Kostenersparnisse durch eine vorausschauende Gestaltung möglich sind.
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