Erweiterung der Umsatzsteuerbefreiung für soziale Einrichtungen
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2025 (Az. III C 3 – S 7175/00036/001/054) hat das Bundesministerium der Finanzen Abschnitt 4.18.1 Absatz 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses angepasst. Die Änderung betrifft die Auslegung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 Umsatzsteuergesetz (UStG), die Leistungen an wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen umfasst. Ziel ist es, die steuerliche Begünstigung sozialer Einrichtungen zu präzisieren und gleichzeitig Praxissicherheit für Wohlfahrtsverbände und andere gemeinnützige Träger zu schaffen, die in diesem Bereich tätig sind.
Die Vorschrift befreit bestimmte Umsätze von der Umsatzsteuer, wenn sie eng mit der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit verbunden sind. Damit soll sichergestellt werden, dass Hilfeleistungen an Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, nicht durch steuerliche Belastungen erschwert werden. Das betrifft insbesondere Tätigkeiten im Rahmen sozialer Einrichtungen, denen gemeinnützige und mildtätige Zwecke zugrunde liegen.
Neue Klarstellungen im Anwendungserlass
Die nun vorgenommene Änderung konkretisiert erstmals ausdrücklich, dass auch Leistungen steuerfrei sein können, die an wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen zu marktunüblich niedrigen Entgelten erbracht werden. Dazu zählen etwa Second-Hand-Läden, in denen Kleidung oder Haushaltswaren zu sehr günstigen Preisen abgegeben werden, oder Fahrradreparaturwerkstätten, die sozial benachteiligten Menschen eine kostengünstige Instandsetzung ihrer Fahrräder ermöglichen. Diese Tätigkeit wird als eng mit der Sozialfürsorge verbunden angesehen, wenn die Leistung nachweislich den unterstützenden Charakter der Einrichtung widerspiegelt und keine Gewinnorientierung besteht.
Darüber hinaus wurde der Katalog sozialer Leistungen erweitert, die unter die Steuerbefreiung fallen können. Darunter fallen beispielsweise die Schuldnerberatung im außergerichtlichen Insolvenzverfahren, Hilfsangebote der Tafeln oder Frauenhäuser nach § 36a Sozialgesetzbuch II. Ebenso anerkannt sind Beratungsstellen, die Angehörigen von Suchtkranken, Migrantinnen und Migranten, Asylbewerbenden oder Haftentlassenen Unterstützung bieten. Damit trägt das Bundesministerium der Finanzen einer zunehmend diversifizierten Soziallandschaft Rechnung, in der eine Vielzahl von Akteuren sozial wirksame Dienstleistungen erbringt.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen und Träger
Für Träger sozialer Einrichtungen, insbesondere gemeinnützige Gesellschaften, Pflegeeinrichtungen oder Betreiber sozialer Werkstätten, ergeben sich durch die Anpassung erhebliche Erleichterungen. Bisher war häufig unklar, ob Umsätze aus Nebenbetrieben oder niedrig entlohnten Dienstleistungen tatsächlich steuerfrei gestellt werden können. Das führte in der Praxis zu Unsicherheiten und nicht selten zu vorsorglicher Umsatzsteuerveranlagung, um Risiken zu vermeiden. Durch die Klarstellung ist nun eindeutig, dass eine Steuerbefreiung auch dann vorliegt, wenn Leistungen an Bedürftige zu symbolischen Entgelten abgegeben werden, sofern sie dem sozialen Zweck des Unternehmens dienen.
Gerade kleine und mittlere Organisationen, wie regionale Wohlfahrtsverbände, Pflegevereine oder integrative Betriebe mit sozialem Beschäftigungsauftrag, profitieren von der Neuregelung. Denn viele dieser Einrichtungen generieren Teile ihrer Einnahmen aus solchen sozial motivierten Zusatzangeboten. Der Betrieb eines Second-Hand-Shops oder einer Werkstatt für einkommensschwache Personen kann künftig ohne Umsatzsteuerbelastung erfolgen, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG erfüllt sind. Wichtig bleibt jedoch die Einhaltung der formellen Anforderungen, insbesondere die Dokumentation der Gemeinnützigkeit sowie der Nachweis, dass die erbrachten Leistungen tatsächlich Bedürftigen zugutekommen.
Auch die Finanzverwaltung erhielt durch die Ergänzung des Anwendungserlasses eine eindeutige Handlungsgrundlage. Damit lässt sich eine einheitliche Beurteilungspraxis durch die Länder sicherstellen. Unternehmerinnen und Unternehmer, die Leistungen in diesem Bereich erbringen, sollten daher prüfen, ob bislang steuerpflichtig behandelte Vorgänge nachträglich als steuerfrei eingeordnet werden können. Das Schreiben ordnet ausdrücklich an, dass die neuen Grundsätze für alle offenen Umsätze gelten, die nach dem 31. Dezember 2019 erbracht wurden. Übergangsweise wird es bis zum 31. Dezember 2025 nicht beanstandet, wenn Leistungen abweichend als steuerpflichtig behandelt wurden.
Bewertung und Handlungsempfehlungen
Die Erweiterung der Steuerbefreiung ist steuerpolitisch ein klares Signal zur Unterstützung der sozialen Wirtschaft und zur Förderung gemeinnützigen Engagements. Sie vermeidet sowohl finanzielle Nachteile als auch Wettbewerbsverzerrungen gegenüber profitorientierten Unternehmen, die ähnliche Leistungen anbieten. Zugleich stärkt sie die Handlungsfähigkeit sozialer Träger, deren Hauptziel nicht die Gewinnerzielung, sondern die gesellschaftliche Teilhabe benachteiligter Menschen ist.
Aus steuerlicher Sicht ist zu empfehlen, laufende und künftige Umsätze im Detail daraufhin zu überprüfen, ob eine Steuerfreiheit greift. Dabei sollte besonderes Augenmerk auf die Abgrenzung zwischen entgeltlichen und nichtentgeltlichen Leistungen sowie auf den Kreis der begünstigten Personen gelegt werden. Nur wer diese Voraussetzungen dokumentiert und nachvollziehbar erfüllt, kann sich auf die Befreiung berufen. Unternehmen, die in Mischformen tätig sind – etwa zwischen sozialwirtschaftlichem Engagement und kommerziellen Tätigkeiten –, sollten zusätzlich prüfen, ob eine organisatorische und buchhalterische Trennung der jeweiligen Bereichsumsätze notwendig ist, um steuerliche Risiken zu vermeiden.
Die Entscheidung des Bundesfinanzministeriums folgt der bereits vom Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 24. März 2021 (Az. V R 1/19, veröffentlicht im Bundessteuerblatt II 2023, Seite 279) dargestellten Auffassung, wonach auch Leistungen im Zusammenhang mit der Unterbringung und Verpflegung von Flüchtlingen als eng mit der Sozialfürsorge verbundene Leistungen gelten können. Diese Linie wird nun konsequent fortgeführt und in die Verwaltungspraxis überführt. Betroffene Unternehmen – darunter insbesondere Gemeindeprojekte, soziale GmbHs und kirchliche Träger – erhalten somit eine klarere Grundlage für die steuerfreie Behandlung ihrer Leistungen.
Fazit: Mehr Rechtssicherheit für soziale Anbieter
Die Ergänzung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses bringt eine erhebliche Verbesserung der Praxisnähe und Rechtssicherheit für alle Akteure in der Sozialwirtschaft. Einrichtungen, die sich für wirtschaftlich benachteiligte Menschen engagieren, können ihre Leistungen nun mit größerer steuerlicher Klarheit planen und kalkulieren. Gerade für mittelständische Träger bedeutet dies eine finanzielle Entlastung und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit im sozialen Bereich. Unternehmen sollten die Gelegenheit nutzen, ihre Strukturen zu überprüfen und ihre Prozesse entsprechend anzupassen, um die Steuerbefreiung rechtssicher in Anspruch zu nehmen.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen, soziale Träger und Dienstleister bei der Prüfung und Umsetzung umsatzsteuerlicher Anforderungen. Mit unserem Schwerpunkt auf Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung helfen wir, Abläufe effizient zu gestalten und dadurch erhebliche Kostenersparnisse zu realisieren. Wir betreuen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen und begleiten sie auf dem Weg zu einer rechtssicheren und zukunftsorientierten Steuerpraxis.
Gerichtsentscheidung lesen