Umsatzsteuerbefreiung für Pflegeleistungen aus Persönlichem Budget im aktuellen rechtlichen Kontext
Der Bundesfinanzhof hat mit Entscheidung vom 30. April 2025 (Az. XI R 25/24) eine wesentliche Klärung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Betreuungs- und Pflegeleistungen getroffen, die über das Persönliche Budget nach § 29 Sozialgesetzbuch IX finanziert werden. Streitentscheidend war die Frage, ob Leistungen, die durch Budgetnehmer aus diesem Persönlichen Budget beglichen werden, in die steuerrechtlich relevante Sozialgrenze nach § 4 Nr. 16 Umsatzsteuergesetz einzubeziehen sind. Bislang bestand Unsicherheit darüber, ob Zahlungen durch den Budgetnehmer als unmittelbare Kostentragung durch Sozialträger anerkannt werden können oder eine gesonderte sozialrechtliche Anerkennung erforderlich ist.
Das Persönliche Budget ist ein Instrument zur Stärkung von Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. Es handelt sich um eine Geldleistung, die anstelle von Sachleistungen gewährt wird und von den betroffenen Personen eigenverantwortlich zur Organisation notwendiger Hilfen eingesetzt werden darf. Dies führt dazu, dass Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, darunter ambulante Dienste, Pflegeheime und spezialisierte Anbieter, in einem Dreiecksverhältnis zwischen Budgetnehmer, Sozialträger und Finanzverwaltung agieren. Für Unternehmer, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser war lange Zeit unklar, wie die Umsatzsteuer in solchen Konstellationen vorzunehmen ist, insbesondere ob Leistungen steuerfrei gestellt werden können oder ob sie der regulären Besteuerung unterliegen.
Neue Maßstäbe durch den Bundesfinanzhof – Einordnung und Begründung
Der XI. Senat des BFH führt in seiner Entscheidung aus, dass nicht allein die Zahlung aus dem Persönlichen Budget eine automatische Steuerbefreiung rechtfertigt. Entscheidend sei vielmehr, ob eine explizite Anerkennung durch den jeweiligen Sozialträger vorliegt. Dies wird dann bejaht, wenn in den mit dem Budgetnehmer abgeschlossenen Zielvereinbarungen sowie im Gesamtplan nach § 121 Sozialgesetzbuch IX die konkrete Leistungserbringerin benannt ist und damit eine mittelbare, jedoch klare Anerkennung durch den zuständigen Finanzierungs- und Kostenträger erfolgt. Der BFH knüpft damit an seine bisherige Rechtsprechung und an die europarechtlichen Vorgaben aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie an, wonach bestimmte Einrichtungen mit sozialem Charakter von der Umsatzsteuer befreit sind.
- Die bloße Auszahlung der Mittel an den Budgetnehmer reicht nicht aus, da es an einer unmittelbaren Kostentragung durch den Sozialträger fehlt.
- Eine gesetzlich anerkannte Steuerbefreiung ergibt sich dann, wenn der zuständige Sozialträger den Leistungserbringer ausdrücklich nennt und damit mittelbar anerkennt.
- Die Sozialquote, also die für die Steuerbefreiung notwendige Mindestbeteiligung der Sozialträger, wird durch diese Einbindung erfüllt, wenn der Leistungserbringer in den Verwaltungsakten sowie den Zielvereinbarungen aufgeführt ist.
Durch diese Klarstellung korrigiert der BFH die bisherige strengere Sichtweise der Finanzverwaltung und des erstinstanzlich zuständigen Finanzgerichts. Dieses hatte die Steuerbefreiung noch abgelehnt, da die Zahlungen formal von den Budgetnehmern geleistet wurden. Die Entscheidung schafft damit Rechtssicherheit und bezieht sich ausdrücklich auch auf die vergleichbare Entscheidung des BFH-V. Senats vom 19. Dezember 2024 (Az. V R 1/22), wodurch sich eine harmonisierte Rechtsprechung abzeichnet.
Bedeutung und Konsequenzen für Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser, Onlinehändler und andere Unternehmen
Besonders für Pflegeeinrichtungen, stationäre und ambulante Pflegedienste sowie spezialisierte Leistungsanbieter wie Krankenhäuser oder Träger von Behindertenhilfe stellt dieses Urteil eine erhebliche Entlastung dar. Sie können nunmehr ihre Leistungen, sofern die Voraussetzungen der Zielvereinbarung und Anerkennung durch den Sozialträger erfüllt sind, umsatzsteuerfrei abrechnen. Dies hat unmittelbare finanzielle Folgen, da eine zusätzliche Mehrwertsteuerbelastung für die Betroffenen und damit auch für die Kostenträger entfällt. Pflegeeinrichtungen und Sozialbetriebe müssen aber sehr genau prüfen, ob in den Verwaltungsakten eine namentliche Benennung erfolgt ist, denn nur dann tritt die gewünschte Steuerwirkung ein.
Für kleine Unternehmen, die Leistungen rund um Pflege, Betreuung oder therapeutische Unterstützung erbringen, eröffnet das Urteil die Möglichkeit einer besseren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber etablierten Trägern. Diese Unternehmen müssen jedoch auf eine enge Abstimmung mit den Sozialversicherungsträgern achten, um eine Anerkennung sicherzustellen. Für Krankenhäuser, die häufig mit einem hohen Anteil an Leistungen im Bereich Rehabilitation und Eingliederungshilfe arbeiten, vereinfacht sich die steuerliche Einordnung, da nun klar geregelt ist, wie mit aus dem Persönlichen Budget finanzierten Maßnahmen umzugehen ist.
Onlinehändler, deren Geschäftsmodelle im Pflege- oder Hilfsmittelbereich angesiedelt sind, profitieren vor allem indirekt. Durch die Befreiung von Service- und Betreuungsleistungen im Umfeld des Persönlichen Budgets steigen die Budgets für weitere Einkäufe, was die Nachfrage nach medizinischen Hilfsmitteln, Pflegezubehör und digitalen Lösungen erhöht. Auch für mittelständische Unternehmen in der Sozialwirtschaft schafft das Urteil Planungssicherheit und erleichtert die Kalkulation von Honoraren und Dienstleistungen erheblich.
Schlussfolgerung und Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30. April 2025 bringt eine klarstellende und praxisfreundliche Linie in die Besteuerung von Pflege- und Betreuungsleistungen im Kontext des Persönlichen Budgets. Sie sorgt für mehr Rechtssicherheit, verringert potenzielle finanzielle Belastungen und trägt zur Gleichstellung von Sachleistungen und Geldleistungen bei. Unternehmen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser sollten ihre Vertragsdokumente mit Sozialträgern prüfen, um sicherzustellen, dass Leistungserbringer namentlich aufgeführt sind. Nur so kann die Umsatzsteuerbefreiung wirksam in Anspruch genommen werden.
Für den Mittelstand, für kleine Unternehmen im Pflege- und Betreuungssektor sowie für Onlinehändler im Gesundheitsmarkt eröffnet diese Rechtsprechung die Chance auf mehr Transparenz und geringere Abgabenrisiken. Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen seit Jahren bei Fragen zur Umsatzsteuer, zur Digitalisierung und zur Prozessoptimierung in der Buchhaltung. Durch unsere Expertise in der Automatisierung und digitalen Transformation konnten wir Mandanten aus unterschiedlichsten Branchen – von Pflegeeinrichtungen über Krankenhäuser bis hin zu spezialisierten Onlineshops – bereits erhebliche Kostenersparnisse und Effizienzgewinne ermöglichen.
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