Rechtlicher Hintergrund zur Umsatzsteuerbefreiung
Die Umsatzsteuerbefreiung von Pflege- und Betreuungsleistungen ist seit Jahren ein hoch relevantes Thema für Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Grundlage dieser Befreiung bildet § 4 Nr. 16 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes. Die Vorschrift von 2020 sah in Buchstabe l und heute in Buchstabe n vor, dass bestimmte Leistungen von Pflege- und Betreuungseinrichtungen steuerfrei zu erbringen sind, sofern ein bestimmter Anteil der Leistungen an Personen geht, die auf Sozialhilfe oder ähnlich geregelte Kostenträger angewiesen sind. Diese Regelung wird als Sozialgrenze bezeichnet. Sie bemisst sich in der Praxis daran, ob die Einrichtung zu einem wesentlichen Teil Leistungen an Leistungsempfänger erbringt, deren Kosten von Trägern wie Pflegekassen oder Sozialhilfeträgern übernommen werden.
Mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 30.04.2025 (Az. XI R 25/24) wurde nun klargestellt, wie Leistungen zu werten sind, die über das sogenannte Persönliche Budget nach § 29 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vergütet werden. Das Persönliche Budget ist eine Geldleistung, die Menschen mit Behinderungen anstelle von Sachleistungen erhalten können, um notwendige Unterstützungsleistungen individuell einzukaufen. In der Praxis stellt sich daher die Frage, ob solche Zahlungen als Mittel eines Kostenträgers anzusehen sind und damit für die Erreichung der Sozialgrenze zu berücksichtigen sind.
Kernaussagen des Urteils zur Anwendung der Sozialgrenze
Der Bundesfinanzhof hat im genannten Urteil entschieden, dass nicht jede Leistung, die über das Persönliche Budget bezahlt wird, automatisch in die Berechnung der Sozialgrenze einzubeziehen ist. Entscheidend ist vielmehr die Einbindung des Leistungserbringers in das Finanzierungskonzept des Kostenträgers. Nur dann, wenn eine Vereinbarung zwischen dem Budgetnehmer und dem Kostenträger vorliegt, in der der konkrete Leistungserbringer namentlich genannt ist, fließt die Vergütung in die Bemessung der Sozialgrenze ein. Zudem muss ein Gesamtplan vorliegen, der die Erforderlichkeit und die Ziele der Leistung beschreibt. Fehlt diese Formalisierung, gilt die Leistung nicht als durch einen Kostenträger finanziert, sondern als direkt aus dem Vermögen des Budgetnehmers finanziert. Das führt dazu, dass die Umsatzsteuerbefreiung in solchen Fällen nicht greift.
Damit zieht das Gericht eine klare Abgrenzung zwischen Leistungen, die durch ein institutionalisiertes Budgetverfahren mit Mitwirkung des Kostenträgers abgesichert sind, und Leistungen, die lediglich auf der selbstständigen Entscheidung des Budgetnehmers beruhen. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Dokumentationspflichten und die jeweilige Vertragsgestaltung entscheidend sind, um eine Steuerbefreiung beanspruchen zu können.
Praktische Bedeutung für Unternehmen im Gesundheitssektor
Pflegeeinrichtungen, ambulante Dienste und spezialisierte Betreuungsdienstleister, die häufig Zahlungen aus dem Persönlichen Budget erhalten, müssen die neue Rechtsprechung genau beachten. Gerade kleinere Betriebe oder spezialisierte Einrichtungen, die auf diese Finanzierungsform angewiesen sind, laufen ansonsten Gefahr, fälschlicherweise von einer Umsatzsteuerbefreiung auszugehen. In der Folge könnten erhebliche Nachforderungen durch die Finanzverwaltung entstehen. Auch für Krankenhäuser und größere Einrichtungen, die Leistungen nach § 29 SGB IX erbringen, ist die sorgfältige Prüfung relevanter Vereinbarungen unerlässlich.
Die Entscheidung erinnert daran, dass weder die sozialrechtliche Einordnung einer Zahlung noch die subjektive Wahrnehmung des Budgetnehmers ausschlaggebend ist. Stattdessen kommt es auf die Formalisierung im Verhältnis zum Kostenträger an. Dies gilt gleichermaßen für Einrichtungen der Altenpflege, Anbieter von Integrationshilfen oder Träger, die Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderungen bereitstellen. Je nach Ausgestaltung kann dieselbe Leistung steuerfrei oder steuerpflichtig sein – der Unterschied liegt allein im rechtlich sauberen Nachweis der Finanzierung.
Für Onlinehändler oder andere Unternehmen außerhalb der Pflegebranche mag die Entscheidung weniger relevant sein. Dennoch zeigt sie exemplarisch, wie präzise die gesetzlichen Vorgaben zur Umsatzsteuerbefreiung auszugestalten sind. Ähnliche Fragestellungen können bei anderen Umsatzsteuerbefreiungen auftreten, etwa im Bereich Bildungsdienstleistungen oder bei Leistungen gemeinnütziger Organisationen.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs schafft Rechtsklarheit für alle Unternehmen, die Leistungen im Kontext des Persönlichen Budgets anbieten. Wer die Umsatzsteuerbefreiung in Anspruch nehmen möchte, sollte stets prüfen, ob der eigene Betrieb im Gesamtplan eines Kostenträgers berücksichtigt ist und ob der Name des Leistungserbringers in den Zielvereinbarungen wirksam hinterlegt ist. Es empfiehlt sich dringend, auf lückenlose Dokumentation der Budgets sowie auf eine enge Abstimmung mit Kostenträgern und Budgetnehmern zu achten. Unklare oder formlose Absprachen bergen das Risiko, dass Leistungen steuerpflichtig werden und nachträglich Umsatzsteuer erhoben wird.
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