BFH-Urteil stärkt Klarheit bei umsatzsteuerlicher Behandlung digitaler Zusatzleistungen
Der Bundesfinanzhof hat mit Entscheidung vom 9. Juli 2025 (Az. XI R 29/23) eine für Verlage, digitale Dienstleister und auch Unternehmen mit kombinierten Produktangeboten wegweisende Klarstellung getroffen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die umsatzsteuerliche Behandlung eines kostenlosen E-Paper-Zugangs neben einem bezahlten Print-Abonnement vorzunehmen ist. Dieses Urteil betrifft nicht nur Verlage, sondern bietet auch wertvolle Orientierung für Unternehmen, die hybride Leistungsmodelle anbieten, bei denen digitale Zusatzleistungen ohne Aufpreis zu einem physischen Hauptprodukt gewährt werden. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe sollten die Entscheidung aufmerksam verfolgen, da sie Einfluss auf Preisgestaltung, Rechnungsstellung und Umsatzsteuererklärung haben kann.
In den Streitjahren 2009 bis 2012 stellten Zeitungsverlage ihren Print-Abonnenten den Zugang zu einer elektronischen Ausgabe der Zeitung kostenlos zur Verfügung. Das Finanzamt ging davon aus, dass es sich um eine zusätzliche eigenständige Leistung handle, die mit dem Regelsteuersatz zu versteuern sei. Das führte zu einer nachträglichen Erhöhung der Umsatzsteuer. Der BFH hat nun klargestellt, dass zwar grundsätzlich Print-Abonnement und E-Paper als zwei selbständige Hauptleistungen zu bewerten sind, es in den damaligen Jahren aber sachgerecht war, den kostenlosen digitalen Zugang mit einem Entgeltanteil von null Euro zu bewerten, solange der Gesamtpreis des Abonnements unverändert blieb.
Diese Unterscheidung ist von grundsätzlicher steuerlicher Bedeutung. Sie betrifft nicht nur Medienunternehmen, sondern auch Onlinehändler, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, wenn beispielsweise digitale Zusatzservices oder Apps zu bestehenden Produkten oder Dienstleistungen ohne Aufpreis angeboten werden. Der BFH betont, dass die wirtschaftliche Realität entscheidend sei: Wenn ein Zusatzservice keinen Preisunterschied erzeugt und keine marktübliche Einzelbewertung hat, muss ihm im Rahmen der Umsatzsteuerbemessung kein Entgeltanteil zugeordnet werden.
Rechtsdogmatische Einordnung und Begründung der Entscheidung
Die Richter stellten zunächst klar, dass Print-Ausgabe und E-Paper zwei selbständige Hauptleistungen darstellen. Diese Abgrenzung folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der verlangt, dass jede Leistung grundsätzlich eigenständig zu bewerten ist, sofern sie für den Kunden einen eigenen Zweck erfüllt. In der Praxis bedeutet dies, dass der Zugriff auf ein E-Paper – auch wenn er kostenlos angeboten wird – ein eigener Umsatz ist, der grundsätzlich steuerbar sein kann.
Allerdings besteht die steuerliche Bemessungsgrundlage nur, wenn tatsächlich eine Gegenleistung für die erbrachte Leistung existiert. Nach § 10 Absatz 1 Umsatzsteuergesetz ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten. Der BFH stellte hierzu prägnant fest, dass in den Jahren, in denen der Printpreis trotz des zusätzlichen elektronischen Zugangs unverändert blieb, keine Gegenleistung für das E-Paper vorlag. Somit war eine Aufteilung des Entgelts auf zwei verschiedene Umsatzsteuersätze unzulässig. Diese Begründung macht deutlich, dass eine Schätzung eines fiktiven Entgeltanteils – wie sie das Finanzamt vorgenommen hatte – dem Grundsatz der Besteuerung nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Realität widerspricht.
Der BFH bezog sich außerdem auf vergleichbare Entscheidungen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs, die zu gleichartigen Sachverhalten gelangt waren. Dort wurde der kostenlose Zugang zur digitalen Ausgabe einer Zeitung ebenfalls nicht als entgeltliche Leistung behandelt. Die deutsche Entscheidung fügt sich damit nahtlos in die europäische Linie ein. Juristisch bedeutsam ist in diesem Zusammenhang besonders die Differenzierung zwischen einem steuerbaren Umsatz und einer unentgeltlichen Wertabgabe. Da die kostenlose Bereitstellung hier aus unternehmerischen – also marktfördernden – Gründen erfolgte, ist auch keine unentgeltliche Wertabgabe im Sinne des Umsatzsteuerrechts gegeben.
Relevanz für Unternehmen, Verlage und digitale Geschäftsmodelle
Für Unternehmen ergibt sich aus dem Urteil eine wichtige Orientierung, wie kostenlose Zusatzleistungen steuerlich zu behandeln sind. Ob es sich um digitale Beilagen zu Zeitschriften, Software-Add-ons zu Hardwareprodukten oder ergänzende Online-Services im Gesundheitswesen handelt – entscheidend bleibt, ob diese Zusatzleistung einen eigenen wirtschaftlichen Wert hat, der im Preis zum Ausdruck kommt. Pflegedienste oder Krankenhäuser, die zu ihren Leistungen kostenfreie digitale Informationsportale oder Apps anbieten, können sich – sofern kein Preisaufschlag erfolgt – nunmehr auf die BFH-Argumentation berufen, dass kein gesondertes Entgelt anzusetzen ist. Für Onlinehändler gilt Vergleichbares, wenn beispielsweise der Zugang zu einer Kauf-App oder digitalen Produktbeschreibung ohne Aufpreis gewährt wird.
Der BFH betonte ausdrücklich, dass diese Bewertung auf den konkreten wirtschaftlichen Rahmen der Streitjahre beschränkt ist. Dennoch enthält das Urteil Grundsätze, die auch für heutige hybride Modelle gelten: Ist kein Einfluss auf den Endpreis erkennbar, ist ein fiktives Entgelt für eine unentgeltliche Zusatzleistung regelmäßig nicht sachgerecht. Das Bundesministerium der Finanzen dürfte diesen Grundsatz zukünftig bei der Auslegung der Umsatzbesteuerung digitaler Zusatzleistungen berücksichtigen. Für die Praxis ist zu beachten, dass sich die steuerliche Beurteilung ändern kann, sobald für digitale Elemente ein Nachpreis oder Abopaket eingeführt wird. Werden Print-Abonnements etwa heute automatisch mit E-Paper-Bereitstellung beworben, ist eine sorgfältige Preisaufteilung erforderlich, um den unterschiedlichen Steuersätzen Rechnung zu tragen.
Auch im Hinblick auf die zunehmend digitalisierten Betriebsabläufe kleiner und mittlerer Unternehmen zeigt das Urteil, dass eindeutige Preisstrukturen und transparente Rechnungslegung die beste Absicherung gegenüber späteren steuerlichen Schätzungen und Anpassungen durch die Finanzverwaltung darstellen. Kanzleien und Steuerberatende sollten ihre Mandanten daher anregen, bereits im Vorfeld von Produktkombinationen die Preisgestaltung dokumentiert zu begründen.
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die Praxis
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Besteuerung der Gratis-Zugangsrechte für E-Paper unterstreicht, dass steuerliche Beurteilungen stets die wirtschaftliche Realität abbilden müssen. Für den Mittelstand bedeutet dies, dass Zusatzleistungen, die ohne Preisänderung gewährt werden, nicht automatisch steuerpflichtige Umsätze darstellen. Entscheidend ist der Nachweis, dass die Gesamtvergütung für das Hauptprodukt gleich bleibt und die Nebendienstleistung keinen eigenständigen Entgeltwert hat.
Unternehmen, gleich ob Verlag, Onlinehändler, Pflegeeinrichtung oder produzierender Mittelständler, sollten künftig besonders auf eine stringente Preis- und Leistungsdokumentation achten. Wird ein digitaler Service im Rahmen des Hauptangebots kostenfrei hinzugefügt, ist es ratsam, dies vertraglich sauber zu formulieren, um steuerliche Risiken zu minimieren. Soll hingegen ein digitaler Zusatzservice eigenständig bepreist werden, sollte der Anteil eindeutig abgegrenzt und mit dem zutreffenden Umsatzsteuersatz belegt werden.
Das Urteil zeigt zudem, wie dynamisch sich das Umsatzsteuerrecht an digitale Geschäftsmodelle anpassen muss. Unternehmerinnen und Unternehmer profitieren, wenn sie diese Entwicklung aktiv begleiten und ihre Buchhaltungsprozesse entsprechend digitalisieren. Unser hausinternes Team unterstützt kleine und mittelständische Betriebe bei der digitalen Prozessoptimierung in der Buchhaltung und zeigt auf, wie sich durch strukturierte Abläufe und moderne Softwarelösungen erhebliche Kosten einsparen lassen. Unsere Erfahrung aus zahlreichen Projekten ermöglicht es, Unternehmen jeder Größe effizient bei der Umsetzung steuerlicher Vorgaben zu begleiten und gleichzeitig die Chancen der Digitalisierung gewinnbringend zu nutzen.
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