Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Mai 2025 unter dem Aktenzeichen 1 AZR 120/24 sorgt in Unternehmen und Kanzleien für neue Klarheit bei der Abgrenzung tariflicher und betrieblicher Regelungskompetenzen. Zentral geht es um die Frage, ob der Betriebsrat mitbestimmen darf, wenn eine bisher bezahlte Frühstückspause im Betrieb abgeschafft wird. Das Gericht hat entschieden: Die Abschaffung einer vergüteten Pause stellt keine Änderung der betrieblichen Entlohnungsgrundsätze dar und unterliegt damit nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Diese Entscheidung verdeutlicht die enge Verzahnung zwischen Tarifverträgen und betrieblicher Mitbestimmung – ein Aspekt, der für kleine und mittelständische Arbeitgeber, Pflegeeinrichtungen oder auch Logistikunternehmen erhebliche praktische Relevanz besitzt.
Regelungssperre und Mitbestimmung im Fokus – Hintergrund und Kernelemente der Entscheidung
Im Ausgangsfall hatte ein tarifgebundener Arbeitgeber, ein Unternehmen im öffentlichen Personennahverkehr, über viele Jahre hinweg eine bezahlte 15-minütige Frühstückspause gewährt. Diese Praxis wurde später durch eine neue Betriebsvereinbarung beendet, ohne dass der Betriebsrat beteiligt wurde. Der betroffene Arbeitnehmer sah darin einen Eingriff in bestehende Entlohnungsgrundsätze und machte geltend, dass die Änderung mitbestimmungspflichtig gewesen sei. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass eine Regelung, die eine Freistellung von der Arbeitspflicht während der Arbeitszeit betrifft, nicht den Vergütungscharakter einer Entlohnung hat. Es liege keine vermögenswerte Leistung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 Betriebsverfassungsgesetz vor. Die Arbeitnehmer erhalten weiterhin das gleiche Entgelt; lediglich die Zeitstruktur der Arbeitsleistung verändert sich. Damit fehlt es an einem Eingriff in Entlohnungsgrundsätze.
Besonders hervorgehoben wurde die Bedeutung des § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz, der die sogenannte tarifliche Regelungssperre enthält. Diese Vorschrift besagt, dass Arbeitsentgelte und Arbeitsbedingungen, die tariflich geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein dürfen. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sind Regelungen über Arbeitsbefreiungen und Freistellungen im einschlägigen Tarifwerk bereits umfassend ausgestaltet, sodass der Betriebsrat keine zusätzliche Mitbestimmungskompetenz besitzt. Damit wurde die Betriebsvereinbarung, die die Frühstückspause abgeschafft hatte, als unwirksam qualifiziert – ein Lehrstück für die Abgrenzung zwischen Tarifautonomie und betrieblicher Regelungskompetenz.
Rechtliche Einordnung und systematische Bedeutung für die Tarifautonomie
Das Bundesarbeitsgericht hat mit dieser Entscheidung seine bisherige Linie zur Auslegung des § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz fortgeführt und zudem präzisiert. Die Tarifvertragsparteien besitzen nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz die ausschließliche Verhandlungshoheit über Arbeitsbedingungen. Die tarifliche Regelungssperre schützt genau dieses Prinzip, indem sie verhindert, dass betriebliche Regelungen konkurrierend oder gar abweichend zu tariflichen Normen getroffen werden. Entscheidend ist, dass die Sperrwirkung nicht nur dann greift, wenn Betriebsvereinbarungen tariflichen Regelungen widersprechen, sondern auch dann, wenn sie denselben Regelungsgegenstand inhaltlich parallel erfassen. Nur die Tarifparteien können festlegen, ob ergänzende Betriebsvereinbarungen zugelassen werden. Diese strikte Trennung stärkt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und sorgt zugleich für eine klare Kompetenzverteilung.
In der juristischen Analyse zeigt sich, dass das Gericht die betriebliche Übung – also die regelmäßige Wiederholung bestimmter Arbeitgeberleistungen, die zu einem vertraglichen Anspruch der Arbeitnehmer führen können – zwar grundsätzlich als Rechtsquelle anerkennt, sie hier aber durch die tarifliche Bindung überlagert sah. Entscheidend war, dass der einschlägige Tarifvertrag zur Arbeitsbefreiung bereits eine abschließende Regelung enthielt. Damit unterlag die Frage, ob eine kurze, bezahlte Arbeitsunterbrechung gewährt wird, nicht der Disposition der Betriebsparteien. Dies stellt eine Stärkung der tariflichen Normsetzung gegenüber betrieblicher Gestaltung dar.
Handlungsfolgen für Arbeitgeber, Steuerberatende und mittelständische Betriebe
Für die Praxis ist das Urteil in verschiedener Hinsicht bedeutsam. Unternehmen – insbesondere tarifgebundene Betriebe im Transportwesen, in Pflegeeinrichtungen oder in industriellen Fertigungsbetrieben – müssen künftig sehr genau prüfen, ob geplante betriebliche Änderungen tatsächlich regelungsfrei sind oder durch Tarifrecht gesperrt werden. Betriebsräte sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass Mitbestimmungsrechte dort enden, wo Tarifverträge bereits wirksam Regelungen getroffen haben. Andernfalls riskieren die Betriebsparteien, unwirksame Vereinbarungen zu schließen, die im Streitfall keinen Bestand haben.
Auch für Steuer- und Unternehmensberatungen ergeben sich aus der Entscheidung bedeutsame Konsequenzen. Veränderungen bei Arbeitszeiten, Freistellungen oder Lohnkomponenten können unmittelbare Auswirkungen auf die Lohnbuchhaltung, das Arbeitszeitmanagement und die steuerliche Behandlung von Arbeitsentgelten haben. Wichtig ist, im Rahmen von Digitalisierungsprojekten und Prozessoptimierungen vorhandene Systeme so auszurichten, dass tarifliche Bindungen und betriebliche Mitbestimmungsrechte vollständig und fehlerfrei abgebildet werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass unzulässige oder fehlerhafte Regelungen betriebswirtschaftliche Nachteile auslösen oder arbeitsrechtlich angegriffen werden.
Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die vielfach auf tradierte betriebliche Gepflogenheiten bauen, sollten diese Entscheidung zum Anlass nehmen, ihre bestehenden Betriebsvereinbarungen kritisch zu prüfen. Besonders dort, wo „betriebliche Übungen“ zu Vorteilen geführt haben, ist zu hinterfragen, ob diese Regelungen angesichts der Tarifbindung noch Bestand haben oder zwingende Anpassungen erforderlich sind. Auch Onlinehändler mit eigenen Logistikbereichen werden hiervon mittelbar betroffen sein, da Arbeitszeitmodelle häufig durch tarifliche Vorgaben gelenkt sind und Abweichungen stets eine rechtliche Grundlage benötigen.
Klare Kompetenzverteilung zwischen Tarifvertrag und Betriebsverfassung – was bleibt
Die Entscheidung signalisiert deutlich, dass tarifliche Regelungen Vorrang vor betrieblichen Kompromissen haben. Die Tarifautonomie bleibt ein geschütztes Gut, das jegliche konkurrierende Mitbestimmung ausschließt, solange der Tarifvertrag den betreffenden Gegenstand bereits erfasst. Arbeitgeber und Betriebsräte sollten solche Regelungssperren künftig nicht als Einschränkung, sondern als Orientierung begreifen. Sie geben Rechtssicherheit, vermeiden Kompetenzkonflikte und sorgen für Stabilität in der betrieblichen Ordnung. Für die anwaltliche Beratungspraxis bedeutet das, Unternehmen bei der rechtskonformen Gestaltung betrieblicher Regelungen im Lichte bestehender Tarifverträge zu begleiten und die Auswirkungen frühzeitig zu bewerten, insbesondere bei Änderungen der Arbeitszeitgestaltung oder der Vergütungsstruktur.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Umsetzung solcher Maßnahmen. Wir haben uns auf Prozessoptimierung und Digitalisierung in der Buchhaltung spezialisiert und verhelfen unseren Mandanten durch den Einsatz effizienter Systeme zu erheblichen Kostenersparnissen und klaren Abläufen in der Personal- und Finanzorganisation.
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