Rentenversicherungspflicht im europäischen Kontext verstehen
Die Frage, ob für Pflegepersonen eine Rentenversicherungspflicht entsteht, wenn sie Angehörige pflegen, ist im nationalen Recht klar geregelt. Allerdings führt die zunehmende Mobilität innerhalb der Europäischen Union regelmäßig zu komplexen Abgrenzungsfragen. Der Begriff der Sachleistungsaushilfe bezeichnet die Gewährung von Leistungen durch den zuständigen Staat im Rahmen des europäischen Koordinationsrechts, also die Inanspruchnahme medizinischer oder pflegerischer Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsstaat. Diese Sachleistung ist keine eigenständige deutsche Leistung, sondern eine grenzüberschreitende Leistungserbringung nach europäischem Sozialrecht. Dadurch kann die Zuständigkeit für finanzielle Sozialleistungen, wie die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung, bei einem anderen Mitgliedstaat liegen.
Im Zentrum der aktuellen Diskussion steht die Klärung der Rentenversicherungspflicht von nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen, wenn sie für eine im Ausland versicherte pflegebedürftige Person tätig werden. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (Az. B 10/12 R 4/23 R, Urteil vom 11. Dezember 2025) hat in diesem Zusammenhang wichtige Leitlinien geschaffen, die für Pflegekassen, Arbeitgeber im Gesundheitswesen und grenzüberschreitend tätige Pflegende gleichermaßen von Bedeutung sind.
Kernaussagen der Entscheidung
Das Bundessozialgericht stellte klar, dass die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen für Pflegepersonen eine Leistung der sozialen Pflegeversicherung ist und daher nur an Versicherte der deutschen Pflegeversicherung erbracht werden kann. Entscheidend ist, dass die pflegebedürftige Person Mitglied der deutschen sozialen Pflegeversicherung ist. Werden jedoch Angehörige gepflegt, die ausschließlich in einem anderen EU-Mitgliedstaat versichert sind, greift die Regelung zur Pflichtversicherung nicht. Die deutsche Pflegekasse ist in diesen Fällen auch dann nicht zuständig, wenn die Pflege tatsächlich in Deutschland erbracht wird.
Im zugrunde liegenden Fall pflegte der Kläger in Deutschland seine Schwiegereltern, die in Frankreich pflegeversichert waren. Er beantragte daraufhin bei der deutschen Pflegekasse die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen. Diese lehnte ab, ebenso wie die Deutsche Rentenversicherung die Feststellung einer Versicherungspflicht. Das Sozialgericht entschied zunächst zugunsten des Klägers, doch das Landessozialgericht und schließlich das Bundessozialgericht verneinten den Anspruch. Die Richter führten aus, dass das Prinzip der europäischen Zuständigkeitsverteilung nicht durch nationale Vorschriften unterlaufen werden dürfe. Sozialleistungen – und dazu zählen auch die Beitragszahlungen zur Rentenversicherung – dürfen nur vom zuständigen Staat erbracht werden. Im Fall einer Sachleistungsaushilfe bleibt der Heimatstaat der pflegebedürftigen Person zuständig, nicht derjenige, in dem die Pflege erbracht wird.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen und Pflegeeinrichtungen
Für Pflegeinstitutionen, Pflegekassen und auch private Arbeitgeber im Bereich der häuslichen oder ambulanten Pflege ergeben sich aus dieser Entscheidung konkrete Konsequenzen. Pflegepersonen, die EU-Bürger betreuen, deren Versicherungsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat liegt, unterliegen nicht automatisch der deutschen Rentenversicherungspflicht. Dies gilt selbst dann, wenn sie in Deutschland tätig werden. Die bislang mitunter anzutreffende Praxis, bei pflegebedürftigen ausländischen Personen aufgrund des tatsächlichen Aufenthaltsorts eine Beitragspflicht zur deutschen Rentenversicherung anzunehmen, ist damit rechtlich nicht haltbar.
Auch für Onlineplattformen oder Vermittlungsagenturen, die Pflegekräfte aus europäischen Nachbarstaaten vermitteln, bringt das Urteil Klarheit. Sie sollten die Versicherungszuordnung der betreuten Personen sorgfältig prüfen, um spätere Nachforderungen oder Fehlmeldungen gegenüber der Sozialversicherung zu vermeiden. Unternehmen im Pflege- und Gesundheitswesen sind angehalten, ihre internen Melde- und Prüfprozesse anzupassen, damit bei grenzüberschreitenden Pflegeverhältnissen die Zuständigkeiten eindeutig geklärt werden. Zudem empfiehlt sich eine Dokumentation der Versicherungsstaatlichkeit der Pflegebedürftigen, um im Falle von Betriebsprüfungen Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Für Arbeitgeber, die Pflegehilfen anstellen, entsteht damit auch eine erhöhte Informationspflicht. Sie sollten frühzeitig prüfen, ob die Betreuung im Rahmen einer Sachleistungsaushilfe oder einer direkten Leistung nach deutschem Recht erfolgt. Liegt eine Sachleistungsaushilfe vor, besteht keine deutsche Rentenversicherungspflicht, was die Lohnabrechnung und Beitragsmeldung erheblich beeinflussen kann. Insbesondere Pflegebetriebe mit internationalem Personal müssen hier mit besonderer Sorgfalt vorgehen, um Bußgelder oder die nachträgliche Korrektur von Sozialversicherungsnachweisen zu vermeiden.
Fazit und Handlungsempfehlung für die Praxis
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts schafft eine willkommene Klarstellung im europäischen Sozialversicherungsrecht. Sie verdeutlicht, dass die deutsche Rentenversicherungspflicht für Pflegepersonen nur dann greift, wenn die gepflegte Person der deutschen Pflegeversicherung unterliegt. Wird eine Pflege im Rahmen einer europäischen Sachleistungsaushilfe erbracht, verbleibt die Zuständigkeit bei dem Heimatstaat der pflegebedürftigen Person. Diese Systematik schützt nicht nur die Kohärenz des europäischen Sozialversicherungssystems, sondern gibt Unternehmen in Deutschland kohärente Leitlinien für die Beurteilung grenzüberschreitender Pflegeverhältnisse.
Für kleine und mittelständische Unternehmen in der Pflegebranche bietet sich die Gelegenheit, ihre Prozesse zur Versicherungsprüfung zu digitalisieren und standardisierte Abläufe für die Dokumentation von Sozialversicherungszuordnungen zu schaffen. Gerade eine digital unterstützte Buchhaltung und Prozessoptimierung kann helfen, Fehler bei der Beitragsmeldung zu vermeiden und Personalressourcen effizienter einzusetzen. Unsere Kanzlei unterstützt Unternehmen dabei, ihre Buchhaltungsprozesse sowie die Einhaltung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften zu optimieren. Wir begleiten sowohl kleine als auch mittelständische Betriebe auf dem Weg zu einer vollständig digitalisierten, revisionssicheren Finanz- und Lohnbuchhaltung und helfen, die damit verbundenen Kostenvorteile nachhaltig zu realisieren.
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