Ungekürztes Kindergeld trotz fehlender Auskunft aus dem Ausland
Das Finanzgericht Köln hat mit Urteil vom 23. Mai 2025 (Az. 14 K 950/22) entschieden, dass die Familienkasse das deutsche Kindergeld in voller Höhe auszahlen muss, sofern sie keine verwertbare Rückmeldung der ausländischen Verbindungsstelle erhält. Die in Deutschland wohnhafte Klägerin hatte Kindergeld für ihr Kind beantragt, dessen Vater britischer Soldat war. Die Familienkasse beschränkte die Zahlung auf einen Differenzbetrag zum britischen Kindergeld, da sie annahm, dort bestehe ein vorrangiger Anspruch auf entsprechende Familienleistungen. Da jedoch auf mehrfache Auskunftsersuchen keine Antwort der britischen Behörde einging, stellte sich die Frage, ob die deutsche Familienkasse bis zum Eintreffen der ausländischen Mitteilung warten oder zwischenzeitlich das volle deutsche Kindergeld gewähren muss.
Das Gericht bejahte Letzteres und erkannte, dass eine faktische Sperrwirkung durch Untätigkeit der ausländischen Verwaltung europarechtswidrig wäre. Maßgeblich sei, dass die Anspruchsgrundlagen nach deutschem Einkommensteuerrecht gegeben seien und kein eindeutiger Nachweis für einen konkurrierenden Anspruch vorliege. In einem solchen Fall könne die Familienkasse das Kindergeld nicht dauerhaft kürzen oder verzögern, da ansonsten deutsche Familien unverschuldet benachteiligt werden würden.
Europarechtlicher Hintergrund und nationale Rechtslage
Kindergeld wird nach dem Einkommensteuergesetz für Kinder gezahlt, die im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Bestehen internationale Bezugspunkte, insbesondere wenn Elternteile in unterschiedlichen Staaten arbeiten oder Leistungen in mehreren Mitgliedstaaten beanspruchen könnten, greift die europäische Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Diese basiert auf der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die sicherstellt, dass innerhalb der Europäischen Union keine doppelten oder widersprüchlichen Zahlungen erfolgen. Trotz des Austritts des Vereinigten Königreichs gelten wesentliche Teile dieses Regelwerks aufgrund des Austrittsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich fort. Damit bleibt der Datenaustausch über Familientransfers zwischen den Staaten grundsätzlich bestehen.
Das Finanzgericht hob hervor, dass die Familienkasse zwar verpflichtet ist, Auskunftsersuchen an den zuständigen ausländischen Träger zu stellen, jedoch nicht unbegrenzt untätig bleiben darf, wenn von dort keine Antwort erfolgt. Der Grundsatz der zeitnahen Leistungsgewährung steht im Vordergrund, da Kindergeld der Sicherung des Familienunterhalts dient. Ein monatelanges oder gar jahrelanges Warten auf ausländische Rückmeldungen ohne erkennbare Bearbeitung würde dem Zweck der Regelung widersprechen.
Praktische Auswirkungen für Steuerpflichtige und Familienkassen
Für Steuerpflichtige mit grenzüberschreitenden Familienverhältnissen schafft die Entscheidung mehr Rechtssicherheit. Insbesondere Familien, in denen ein Elternteil im Ausland beschäftigt ist oder zeitweise dort wohnhaft war, sehen sich häufig Verzögerungen der Leistungsbewilligung gegenüber. Das Finanzgericht Köln hat nun klargestellt, dass der fehlende Eingang ausländischer Informationen die deutsche Familienkasse nicht zur Kürzung oder Aussetzung berechtigt, wenn die sonstigen nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Damit wird der Anwendungsbereich der Familienleistungen nach deutscher Rechtslage gestärkt und das Risiko finanzieller Härten reduziert.
Für die Verwaltungspraxis bedeutet das Urteil einen gewissen Paradigmenwechsel. Bislang beriefen sich Familienkassen häufig auf die Notwendigkeit vollständiger Parallelprüfung durch die ausländische Stelle. Nun ist erkennbar, dass ein solches Abwarten rechtswidrig sein kann, wenn es zu einer tatsächlichen Leistungskürzung führt. Die in der Entscheidung angelegte Pflicht zur eigenständigen Entscheidung auf Grundlage der verfügbaren Sachlage eröffnet der Familienkasse einen klar strukturierten Handlungsrahmen, verlangt ihr aber zugleich eine detaillierte Dokumentation der bisherigen Ermittlungen ab. Unternehmen mit international tätigen Mitarbeitenden, etwa Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder industrienahe Mittelständler, die Kindergeldverfahren für ihre Beschäftigten begleiten, sollten diese Entwicklung aufmerksam verfolgen, um betroffene Arbeitnehmer umfassend beraten zu können.
Einordnung und Ausblick auf die Revision beim Bundesfinanzhof
Die Revision der Familienkasse ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen III R 28/25 anhängig. Damit wird sich das höchste deutsche Steuergericht unter anderem mit der Frage befassen, wie weit die Pflicht zur Mitwirkung beim Informationsaustausch reicht und ob nationale Behörden eine sog. Beweislastumkehr zu Lasten der Antragstellerin vornehmen dürfen. Eine höchstrichterliche Entscheidung dürfte richtungsweisend für die Verwaltungspraxis und die Handhabung künftiger Kindergeldfälle mit Auslandsbezug sein. Unabhängig vom Ausgang zeichnet sich bereits ab, dass die Umsetzung europarechtlicher Koordinierungsnormen durch die nationalen Familienkassen einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle unterliegen wird. Für Steuerberatende und Lohnbuchhaltungen ist es deshalb ratsam, bei grenzüberschreitenden Fällen die Korrespondenz und den Status der Auskunftsersuchen genau zu dokumentieren, um im Konfliktfall fundiert argumentieren zu können.
Die Entscheidung wird ferner Einfluss auf vergleichbare Konstellationen haben, bei denen Familienleistungen aus Drittländern betroffen sind, deren Kooperation mit den EU-Datenstellen nicht reibungslos funktioniert. Zwar bleibt das Ziel einer kohärenten europäischen Leistungskontrolle bestehen, jedoch darf die praktische Umsetzung die Leistungsberechtigten nicht unangemessen belasten.
Fazit und Handlungsempfehlung für die Praxis
Das Urteil des Finanzgerichts Köln zeigt beispielhaft, wie nationale Gerichte den Anspruch auf Kindergeld in europarechtlich komplexen Konstellationen zugunsten der Familien stärken. Die Entscheidung betont, dass in Deutschland wohnhafte Berechtigte nicht benachteiligt werden dürfen, wenn ausländische Behörden ihre Mitwirkungspflicht nicht erfüllen. Für kleine und mittelständische Unternehmen mit grenzüberschreitend tätigen Beschäftigten ist die präzise Kenntnis dieser Rechtslage von erheblichem Nutzen, da sie die steuerliche Beratung und Personalverwaltung unmittelbar betrifft. Eine strukturierte Kommunikation zwischen Arbeitgebern, Familienkassen und Arbeitnehmern kann hier helfen, Verzögerungen zu minimieren und Anträge effizient zu steuern.
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