Verfassungsrechtliche Grenzen der Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. September 2025, veröffentlicht am 4. November 2025, die neu eingeführten Triage-Regelungen im Infektionsschutzgesetz (§ 5c) für nichtig erklärt. Grund dafür ist das Fehlen einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Entscheidung, die mit sechs zu zwei Stimmen erging, hat weitreichende Konsequenzen für das föderale Verhältnis zwischen Bund und Ländern und wirft grundlegende Fragen der Zuständigkeit im Gesundheitswesen auf.
Unter einer Triage versteht man die Zuteilung knapper medizinischer Ressourcen, beispielsweise Intensivbehandlungsplätze, in einer Situation, in der nicht alle Patientinnen und Patienten gleichzeitig behandelt werden können. Der Gesetzgeber hatte den § 5c Infektionsschutzgesetz eingeführt, um verbindliche Kriterien festzulegen, nach denen Ärztinnen und Ärzte Entscheidungen über die Priorisierung von Behandlungsfällen zu treffen haben. Ziel war es, eine einheitliche Rechtsgrundlage zu schaffen und Diskriminierungen, insbesondere von Menschen mit Behinderungen, zu verhindern. Dennoch stellte das Verfassungsgericht fest, dass diese Regelung in den Kompetenzbereich der Länder fällt und daher bundesrechtlich unwirksam ist.
Bundeskompetenz und die Abgrenzung zum Pandemiefolgenrecht
Nach dem Grundgesetz teilt sich die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern auf. Der Bund darf in Bereichen der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung tätig werden, soweit eine ausdrückliche Kompetenzzuordnung besteht. Hierzu zählt gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 die Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten. Das Gericht stellte jedoch klar, dass dieser Kompetenztitel nur Maßnahmen erfasst, die auf die Eindämmung oder Bekämpfung der Krankheit selbst gerichtet sind. Die Triage-Regelung gehöre dagegen nicht zu diesen Maßnahmen, da sie nicht die Krankheit bekämpfe, sondern deren indirekte Folgen regle – also die Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen nach Ausbruch einer Pandemie. Damit handelt es sich um sogenanntes Pandemiefolgenrecht, das nicht mehr unter die Bundeskompetenz fällt.
Dieser juristische Unterschied ist von erheblicher Bedeutung, da er die Reichweite des Bundesgesetzgebers begrenzt. Der Bund kann demnach keine Regelungen treffen, die lediglich die Folgen einer Pandemie betreffen, ohne zugleich auf die Eindämmung der Krankheit selbst abzuzielen. Das Gericht argumentierte zudem, dass die Länder in der Lage seien, solche Regelungen eigenständig zu schaffen, und dass eine bundeseinheitliche Regelung zwar praktisch zweckmäßig, aber verfassungsrechtlich nicht zwingend notwendig sei.
Berufsfreiheit und ärztliche Entscheidungsautonomie
Ein weiterer zentraler Aspekt des Beschlusses betrifft die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte nach Artikel 12 Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht sah in den Triage-Vorgaben einen Eingriff in die ärztliche Therapiefreiheit, da diese Regelungen bestimmen, nach welchen Kriterien medizinisches Personal bei knappen Ressourcen zu entscheiden hat. Ärztinnen und Ärzte sollen jedoch grundsätzlich frei darin sein, wie sie ihre medizinische Verantwortung ausüben. Eine bundeseinheitlich vorgeschriebene Entscheidungslogik im Rahmen einer Triage wäre daher nur dann zulässig, wenn sie auf einer verfassungsmäßig begründeten Kompetenz des Bundes beruhte. Da dies hier nicht der Fall ist, entfällt auch die rechtliche Grundlage für die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit.
Für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und andere Akteure im Gesundheitswesen bedeutet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Rückkehr zur Länderhoheit. Länderparlamente und Landesgesundheitsministerien sind nun gefordert, eigene, verfassungsgemäße Regelungen zu entwickeln, um die notwendige Rechtssicherheit zu gewährleisten. Dabei bleibt die Herausforderung bestehen, sowohl die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung sicherzustellen als auch Ärzten eine klare Handlungsgrundlage in moralisch und fachlich extrem belastenden Situationen zu geben.
Fazit und praktische Folgen für Unternehmen im Gesundheitswesen
Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr die Grenzen der Bundesgesetzgebung im Gesundheitssektor und betont die föderale Zuständigkeit. Für Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen entstehen daraus zunächst rechtliche Unsicherheiten, da bundesweit einheitliche Standards vorerst fehlen. In der Praxis empfiehlt sich daher, bis zur Etablierung landesrechtlicher Richtlinien interne Standards unter fachärztlicher Beteiligung zu entwickeln, um ethisch vertretbare und rechtssichere Entscheidungen zu ermöglichen. Auch die betriebswirtschaftliche Dimension ist zu beachten: Kliniken müssen ihre Krisen- und Kapazitätsplanung so gestalten, dass Verantwortlichkeiten klar zugeordnet und dokumentiert sind. Dadurch lassen sich Haftungsrisiken minimieren und zugleich organisatorische Abläufe im Ernstfall effektiv steuern.
Die Entscheidung ist darüber hinaus ein Signal an den Gesetzgeber, künftige Gesundheitsreformen mit einer genauen Prüfung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten zu beginnen. Nur so können Doppelstrukturen vermieden und der föderale Rahmen sinnvoll genutzt werden. Für Einrichtungen, die über Ländergrenzen hinweg arbeiten, wird eine enge Abstimmung mit den jeweiligen Landesbehörden wichtiger denn je.
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