Homeoffice im Kündigungsrecht – neue Klarheit durch das BAG
Die Digitalisierung der Arbeitswelt stellt Unternehmen wie Arbeitnehmer immer wieder vor neue rechtliche Herausforderungen. Eine besonders praxisrelevante Frage betrifft den Umgang mit dem Arbeitsort im Zeitalter des mobilen Arbeitens. Ist ein Arbeitgeber verpflichtet, einem Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung eine Tätigkeit im Homeoffice anzubieten, bevor er eine Änderungskündigung ausspricht? Das Bundesarbeitsgericht hat sich am 30. Oktober 2025 mit Aktenzeichen 2 AZR 302/24 mit dieser Thematik befasst und damit einen weiteren wichtigen Punkt in der Diskussion um die Grenzen des Direktionsrechts und die Zumutbarkeit von Standortwechseln im Kündigungsschutzrecht gesetzt.
In dem entschiedenen Fall ging es um einen Angestellten, der regelmäßig im Homeoffice tätig war, dessen bisheriger Standort jedoch geschlossen wurde. Der Arbeitgeber bot die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Konditionen, jedoch an einem neuen Standort, an. Der Arbeitnehmer akzeptierte dieses Angebot nur unter der Bedingung, weiter von zu Hause aus arbeiten zu können. Nachdem der Rechtsstreit durch die Instanzen ging, entschied das Bundesarbeitsgericht schließlich über die Zulässigkeit der hiergegen eingelegten Revision – und verwies sie als unzulässig. Auch wenn damit keine inhaltliche Aussage zur materiellen Rechtsfrage getroffen wurde, liefert der Fall dennoch wertvolle Hinweise zur rechtlichen Einordnung von Homeoffice im Zusammenhang mit betrieblichen Kündigungen.
Abwägung zwischen Direktionsrecht und sozialer Rechtfertigung
Das Bundesarbeitsgericht hat keine inhaltliche Entscheidung über den Anspruch auf Homeoffice getroffen, sondern die Revision wegen fehlender Begründung verworfen. Dennoch sind die tragenden Erwägungen des Landesarbeitsgerichts, das in der Vorinstanz entschieden hatte, von erheblicher Bedeutung. Danach besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, bei einer Standortschließung einen rein virtuellen Arbeitsplatz einzurichten oder eine vollständige Homeoffice-Tätigkeit anzubieten, sofern solche Arbeitsplätze im Unternehmen bisher tatsächlich nicht existieren. Auch wenn der Arbeitnehmer zuvor bereits teilweise aus dem Homeoffice gearbeitet hat, begründet dies für sich genommen keinen Anspruch auf eine vollständige Verlagerung des Arbeitsplatzes in die häusliche Umgebung. Entscheidend ist, ob der bisherige Arbeitsplatz tatsächlich als Homeoffice-Arbeitsplatz ausgestaltet war oder ob lediglich eine zeitweilige Nutzung des Homeoffice auf Grundlage des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts erfolgte.
Nach dem Kündigungsschutzgesetz ist eine betriebsbedingte Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Ein milderes Mittel kann eine Umsetzung oder eine Änderungskündigung sein, wenn der Arbeitsplatz an einem anderen Standort fortbesteht. Jedoch wird nicht verlangt, dass der Arbeitgeber neue organisatorische Strukturen schafft, um einen Arbeitsplatz künstlich im Homeoffice zu ermöglichen. Eine solche Pflicht würde über den bestehenden arbeitsvertraglichen Rahmen hinausgehen und stellt keine rechtlich geschuldete Maßnahme im Sinne des Kündigungsschutzrechts dar.
Bedeutsam bleibt auch der Hinweis auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers, also dessen Recht, die Arbeitsbedingungen wie Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit innerhalb gesetzlicher und vertraglicher Grenzen näher zu bestimmen. Dieses unterliegt einer sogenannten Ermessenskontrolle, das heißt, die Entscheidungen müssen sachlich und verhältnismäßig sein. Das Landesarbeitsgericht sah im vorliegenden Fall keine ermessensfehlerhafte Ausübung des Direktionsrechts, da die vollständige Homeoffice-Tätigkeit eine strukturelle Änderung des Arbeitsplatzes bedeutet hätte. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte, dass zur Revision keine ausreichende rechtliche Auseinandersetzung mit diesen Argumenten vorgetragen worden war.
Handlungsoptionen für kleine und mittelständische Unternehmen
Die Entscheidung hat vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, aber auch für Pflegeeinrichtungen, Handwerksbetriebe oder Onlinehändler praktische Bedeutung. Sie zeigt, dass Arbeitgeber auch im Zeitalter digitaler Kommunikation nicht verpflichtet sind, Homeoffice pauschal als Alternative zu betriebsbedingten Standortentscheidungen anzubieten. Solange kein vereinbarter oder tariflich geregelter Anspruch auf Homeoffice besteht und die bisherigen Arbeitsbedingungen nicht auf einen vollständig mobilen Arbeitsplatz angelegt waren, bleibt es bei der unternehmerischen Freiheit, über betriebliche Strukturen zu entscheiden. Gleichwohl sollten Arbeitgeber sorgfältig prüfen, ob durch betriebliche Übung, durch Absprachen oder durch wiederholte Genehmigung eine faktische Erwartungshaltung beim Arbeitnehmer geschaffen wurde, die berücksichtigt werden muss.
Für Arbeitnehmer bleibt damit zentral, dass der Wunsch nach Homeoffice arbeitsvertraglich, tarifvertraglich oder durch eine entsprechende Betriebsvereinbarung geregelt wird. Fehlt eine solche Grundlage, kann der Arbeitgeber auch bei strittigen Standortschließungen auf eine Präsenzpflicht am neuen Arbeitsort bestehen. Das gilt selbst dann, wenn temporär in der Vergangenheit bereits Homeoffice genutzt wurde. Unternehmen sollten in diesem Zusammenhang klare und transparente Regelungen zur mobilen Arbeit schaffen, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Dies betrifft insbesondere datenschutzrechtliche Anforderungen, Arbeitsschutzbestimmungen und technische Standards der IT-Sicherheit.
Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bedeutet dies eine Chance: Wer moderne Homeoffice-Strukturen mit klarer rechtlicher Grundlage implementiert, kann die Flexibilität erhöhen, ohne rechtliche Risiken einzugehen. Die BAG-Entscheidung zeigt zugleich, dass fehlende Strukturen hier schnell zu Konflikten führen können, wenn Arbeitnehmer ihren bisherigen Arbeitsmodus als gesetzt ansehen. Eine präzise Gestaltung von Arbeitsverträgen, ergänzt durch transparente Richtlinien zur mobilen Arbeit, ist daher essenziell.
Schlussfolgerung für die betriebliche Praxis
Auch wenn das Bundesarbeitsgericht die Revision im Verfahren 2 AZR 302/24 als unzulässig verwarf, liefert der Sachverhalt wertvolle Orientierung für die Praxis. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, zur Vermeidung einer Änderungskündigung reine Homeoffice-Arbeitsplätze einzurichten, es sei denn, solche Arbeitsformen sind bereits vertraglich oder organisatorisch etabliert. Die Abgrenzung zwischen temporärer Homeoffice-Nutzung und einer dauerhaften Homeoffice-Tätigkeit wird damit weiterhin eine Frage der konkreten Vertragsgestaltung und betrieblichen Praxis bleiben. Unternehmen sollten ihre Arbeitsverträge und internen Richtlinien vor diesem Hintergrund überprüfen, um Flexibilität und Rechtssicherheit in Einklang zu bringen. Gerade im Mittelstand, wo persönliche Arbeitsstrukturen oft gewachsen sind, lohnt sich eine proaktive Anpassung an die rechtlichen Anforderungen.
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