Gesamtschuldnerische Haftung bei Bauprojekten
Die Frage, wer für Schäden nach einem Baustellenunfall einzustehen hat, ist für viele Unternehmen entscheidend. Gerade im Bereich des Bauwesens kommt es regelmäßig zu Konstellationen, in denen mehrere Beteiligte gemeinsam Verantwortung tragen. Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Az. 29 U 50/24 vom 15.09.2025) verdeutlicht, dass bei der Errichtung von Großgeräten wie Krananlagen nicht nur das ausführende Unternehmen, sondern auch dessen Geschäftsführer sowie die Eigentümerin des Krans gesamtschuldnerisch haften können. Gesamtschuldnerisch bedeutet dabei, dass mehrere Personen gemeinsam für eine Forderung einstehen müssen und der Gläubiger sich aussuchen kann, von wem er den Schadensersatz verlangt. Die Ausgleichspflicht zwischen den Beteiligten besteht erst im Innenverhältnis.
Für Bauunternehmen, aber auch für Unternehmen, die Krane oder andere Spezialmaschinen vermieten, wird dadurch ein erhebliches Haftungsrisiko sichtbar. Ein mangelhafter Aufbau, beispielsweise durch den Einsatz ungeeigneter Verbindungselemente, kann weitreichende rechtliche und wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Bereits kleine Montagefehler reichen aus, um eine erhebliche Gefährdung der Allgemeinheit anzunehmen.
Verkehrssicherungspflicht als zentrales Haftungskriterium
Maßgeblich für die Entscheidung war die sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Diese besagt, dass jede Person, die eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, verpflichtet ist, Dritte vor Schäden zu bewahren, die durch diese Gefahr entstehen können. Im konkreten Fall wurde festgestellt, dass die mit dem Aufbau betraute Gesellschaft ebenso wie ihr beim Aufbau anwesender Geschäftsführer eine Pflichtverletzung begangen hatten. Sie mussten nicht nur gegenüber dem Auftraggeber, sondern auch gegenüber unbeteiligten Dritten sicherstellen, dass die Montage vorschriftsgemäß und ohne Gefahren für umliegende Personen erfolgt. Das Gericht stellte klar, dass dies auch dann gilt, wenn die Eigentümerin des Krans ihre Verantwortung auf den beauftragten Bauunternehmer überträgt. Damit kommt es zu einer haftungsrechtlichen Verknüpfung mehrerer Beteiligter, die die Risiken für alle Seiten erheblich erhöhen.
Gerade im Mittelstand, wo häufig eine enge Verbindung zwischen Geschäftsleitung und operativer Baustellenverantwortung besteht, sollten Geschäftsführer sich der Tragweite ihres Handelns bewusst sein. Eine persönliche Haftung kann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Mitwirkung am fehlerhaften Aufbau unmittelbar zu einer Gefährdung führt.
Abgrenzung der Haftung des Sachverständigen
Interessant für die Praxis ist die Abgrenzung zur Rolle des Sachverständigen, der mit wiederkehrenden Prüfungen nach Unfallverhütungsvorschriften beauftragt war. Das Oberlandesgericht Frankfurt stellte klar, dass eine Haftung dieses Sachverständigen ausscheidet, wenn es um zufällig betroffene Dritte geht, die keine unmittelbare Schutzwirkung aus dem Prüfvertrag ableiten können. Vertragsverhältnisse mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzen voraus, dass die Einbeziehung Dritter für die Vertragspartner erkennbar ist und sich regelmäßig aus der Natur des Vertrags ergibt. Im Falle einer prüfenden Tätigkeit, die lediglich der internen Sicherheit dient, ist ein solcher Drittschutz nicht automatisch gegeben. Dies entlastet Sachverständige zwar in dieser speziellen Konstellation, verdeutlicht aber zugleich, dass die Hauptverantwortung bei den unmittelbar am Aufbau Beteiligten bleibt.
Für Unternehmen, die regelmäßig auf Prüfberichte von Sachverständigen zurückgreifen, bedeutet dies keine Entwarnung. Die Prüfungen ersetzen nicht die eigenen Sorgfalts- und Kontrollpflichten beim Aufbau. Vielmehr ergänzen sie lediglich das Sicherheitssystem, ohne den Bauherrn oder die ausführenden Unternehmer von ihrer originären Verantwortlichkeit zu befreien.
Fazit: Konsequenzen für Unternehmen und Geschäftsführer
Die Entscheidung verdeutlicht in aller Schärfe, dass bei Großprojekten Haftungsrisiken nicht nur auf das Unternehmen, sondern auch unmittelbar auf seine Organe durchschlagen können. Für Bauunternehmen, Vermieter von Geräten und deren Auftraggeber bedeutet dies, dass sorgfältige Kontrolle und präzise Umsetzung aller Sicherheitsvorschriften zwingend notwendig sind. Geschäftsführer sollten darauf achten, ihre Mitwirkung auf der Baustelle klar zu dokumentieren und den Nachweis ordnungsgemäßer Abläufe zu führen, um im Streitfall entlastet werden zu können. Eigentümer, die Geräte oder Maschinen zur Verfügung stellen, bleiben ebenfalls in der Pflicht, die sachgerechte Durchführung der Arbeiten zu überwachen. Damit entsteht ein engmaschiges Netz an Verantwortlichkeiten, das Unternehmen organisatorisch wie rechtlich herausfordert.
Ein vorausschauendes Haftungsmanagement ist deshalb unerlässlich. Unternehmerinnen und Unternehmer tun gut daran, ihre Aufbauprozesse regelmäßig juristisch und organisatorisch überprüfen zu lassen, um Risiken frühzeitig zu minimieren. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen dabei nicht nur in rechtlichen Fragen, sondern insbesondere bei der Prozessoptimierung in der Buchhaltung und der Digitalisierung betrieblicher Abläufe, sodass erhebliche Kosten eingespart und effizientere Strukturen geschaffen werden können.
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