Günstigerprüfung und Verjährung – Neue Leitlinien nach BFH-Urteil
Mit dem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Mai 2025 (Az. VI R 17/23) hat der VI. Senat eine praxisrelevante Entscheidung zur Günstigerprüfung nach § 32d Absatz 6 Einkommensteuergesetz getroffen. Diese betrifft insbesondere Unternehmen, Freiberuflerinnen sowie kleinere Kapitalgesellschaften, die Kapitalerträge erzielen, und hat unmittelbare Konsequenzen für Steuerberatungskanzleien, Banken und Finanzdienstleister. Im Kern stellt der Bundesfinanzhof klar, dass ein Antrag auf Günstigerprüfung, der erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt wird, keine hemmende Wirkung auf die Steuerfestsetzung entfaltet. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuererklärung zugleich eingereicht wird oder nicht. Die Entscheidung fügt sich in eine Linie der bisherigen Rechtsprechung ein, verschärft jedoch die Anforderungen an Fristwahrung und Verfahrensdisziplin im Steuerbereich.
Zur rechtlichen Einordnung ist der Hintergrund entscheidend: Die Günstigerprüfung nach § 32d Absatz 6 Einkommensteuergesetz erlaubt es Steuerpflichtigen, Kapitalerträge, die ansonsten der 25-prozentigen Abgeltungsteuer unterliegen, in die reguläre Einkommensteuerveranlagung einzubeziehen, wenn dies steuerlich vorteilhafter ist. Der Antrag ist ein sogenanntes Wahlrecht, das innerhalb der gesetzlichen Festsetzungsfrist ausgeübt werden muss. Die Abgabenordnung, insbesondere § 169 und § 170, regelt dabei Beginn und Ablauf dieser Frist, während § 47 Abgabenordnung bestimmt, dass steuerliche Ansprüche mit Eintritt der Verjährung erlöschen. Der nun beklagte Streitfall drehte sich darum, ob der Antrag auf Günstigerprüfung einen Neubeginn oder eine Verlängerung dieser Frist auslösen kann – was der Bundesfinanzhof verneinte.
Steuerrechtliche Bewertung und Kernaussagen des Bundesfinanzhofs
Das Gericht betont, dass der Antrag auf Günstigerprüfung keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung begründet und somit keine sogenannte Anlaufhemmung nach § 170 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 Abgabenordnung auslöst. Ein verspätet gestellter Antrag kann daher kein bereits erloschenes Steuerveranlagungsrecht wieder aufleben lassen. Für die Praxis bedeutet dies, dass weder der verspätete Antrag noch die verspätete Abgabe einer Einkommensteuererklärung rückwirkenden Einfluss auf den Beginn oder das Ende der Festsetzungsfrist haben. Die richterliche Begründung verweist darauf, dass das Wahlrecht der Günstigerprüfung unbefristet bleibt, jedoch mit Verjährung des Steueranspruchs endet. Steuerpflichtige müssen folglich aktiv und fristgerecht tätig werden, um das Wahlrecht zu wahren.
Interessant ist die differenzierte Betrachtung der Falljahre 2014 und 2015, die der Bundesfinanzhof vorgenommen hat. Für 2014 sah das Gericht keine Pflicht zur Veranlagung, da ausschließlich Kapitalerträge mit Steuerabzug vorlagen. Für 2015 hingegen lagen auch ausländische Kapitalerträge ohne Steuerabzug über der Freigrenze von 410 Euro vor, was eine Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung begründete. Damit begann die Festsetzungsfrist erst später, sodass der Antrag im Ergebnis rechtzeitig einging. Diese Differenzierung ist entscheidend, da sie den Anwendungsbereich des § 32d Absatz 6 Einkommensteuergesetz im Zusammenspiel mit § 46 Absatz 2 Nummer 1 verdeutlicht. Der Bundesfinanzhof stellt somit klar, dass Kapitalerträge ohne Steuerabzug stets in die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte einzubeziehen sind, was eine Veranlagungspflicht auslöst.
Konkrete Bedeutung für kleine und mittlere Unternehmen sowie Berater
Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für die Compliance-Praxis kleiner und mittlerer Unternehmen sowie spezialisierter Betriebe wie Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser oder Onlinehändler, die Kapitalerträge aus Rücklagen oder ausländischen Anlagen erzielen. Auch wenn die Günstigerprüfung vorrangig Privatpersonen betrifft, wirkt sich die Auslegung des Begriffs der Pflichtveranlagung mittelbar auf Unternehmensstrukturen aus, die steuerlich als Personengesellschaften oder Einzelunternehmen geführt werden. Für Steuerberatende ergibt sich daraus eine klare Handlungspflicht zur Kontrolle der Fristen, insbesondere, wenn Mandantinnen Kapitalerträge aus dem Ausland oder ohne Steuerabzug vereinnahmen. Die Festsetzungsfrist nach § 169 Absatz 2 Abgabenordnung beträgt vier Jahre, beginnt aber nur dann später zu laufen, wenn tatsächlich eine Erklärungspflicht besteht. Unternehmen müssen daher prüfen, ob ihre Kapitalerträge inländischem Steuerabzug unterliegen oder nicht. Fehlende Abzüge führen dazu, dass die Festsetzungsfrist später anläuft und der Antrag auf Günstigerprüfung noch rechtzeitig gestellt werden kann.
Für Banken, Investmentgesellschaften und Finanzdienstleister ergibt sich die Pflicht, Kundinnen und Unternehmen über den steuerlichen Status ihrer Kapitalerträge zu informieren, insbesondere über ausländische Quellen. Steuerberaterinnen und Buchhaltungsverantwortliche in mittelständischen Betrieben sollten ihre Prozesse so ausgestalten, dass Kapitalerträge systematisch dokumentiert und steuerlich eingeordnet werden. Automatisierte Systeme in der digitalen Buchhaltung können hier wesentlich zur Rechtssicherheit beitragen, indem sie Erträge klassifizieren und automatisch signalisieren, ob ein Steuerabzug vorgenommen wurde. Dies ist insbesondere im Pflege- und Gesundheitswesen relevant, wo Stiftungen oder gemeinnützige Träger häufig über Kapitalanlagen verfügen, deren steuerliche Behandlung komplex sein kann.
Die Entscheidung verdeutlicht zudem, dass die Günstigerprüfung keine Option darstellt, die man beliebig nachreichen kann. Vielmehr ist sie ein zeitlich gebundenes Wahlrecht, dessen Fristversäumnis nicht heilbar ist. Unternehmen und Selbstständige sollten daher gemeinsam mit ihrem Steuerberater frühzeitig prüfen, ob die Einbeziehung von Kapitalerträgen in die Einkommensteuer günstiger ist als die Anwendung des Abgeltungsteuertarifs. Entscheidend ist dabei die Gesamtheit der Einkünfte, da bei niedrigerem Einkommen der individuelle Steuersatz oft günstiger ausfällt. Der Bundesfinanzhof stärkt damit die Rechtssicherheit, verschiebt aber auch die Verantwortung klar in Richtung der Steuerpflichtigen und ihrer Berater.
Ausblick und Handlungsempfehlung für die Praxis
Das Urteil schafft Rechtsklarheit, verschärft jedoch die Anforderungen an die Fristkontrolle in der Steuerberatung und in der Unternehmensbuchhaltung. Für die Praxis bedeutet dies: Wer von der Günstigerprüfung profitieren will, muss sicherstellen, dass der Antrag innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt wird. Nach Ablauf dieser Frist ist eine wirtschaftlich vorteilhafte Steueranpassung ausgeschlossen, selbst wenn sachlich alles für eine niedrigere Belastung spräche. Dies gilt nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für unternehmerisch tätige Gesellschafterinnen und Einzelunternehmen, die Kapitalerträge aus betrieblichen Rücklagen erzielen. Der Bundesfinanzhof betont ausdrücklich, dass der Antrag selbst keine neue Festsetzungsfrist in Gang setzt. Steuerabteilungen und Beraterinnen sollten daher Wiedervorlage- und Kontrollsysteme etablieren, um die Antragsfristen konsequent einzuhalten.
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