Rechtlicher Hintergrund der Günstigerprüfung bei Kapitaleinkünften
Mit dem besonderen Steuertarif für Kapitaleinkünfte nach § 32d Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes wird grundsätzlich ein gesondertes Besteuerungsverfahren eingeführt, das durch die Kapitalertragsteuer abgegolten ist. Der Gesetzgeber eröffnet jedoch in § 32d Absatz 6 Einkommensteuergesetz die Möglichkeit einer sogenannten Günstigerprüfung, mit der Steuerpflichtige prüfen lassen können, ob die Anwendung des allgemeinen Einkommensteuertarifs für sie vorteilhafter ist. In diesem Fall kann auf Antrag die tarifliche Einkommensteuer anstelle der pauschalen Abgeltung zur Anwendung kommen. Diese Option ist besonders relevant für Personen, deren persönlicher Steuersatz unter dem pauschalen Satz von 25 Prozent liegt, etwa bei niedrigen Gesamteinkünften, hohen Werbungskosten oder besonderen Verlustverrechnungen.
Der Antrag auf Günstigerprüfung ist nach der Rechtsprechung keine eigenständige Steuerart, sondern ein materiell-rechtliches Wahlrecht innerhalb der Einkommensteuerveranlagung. Damit stellt sich regelmäßig die Frage, ob und in welchem Umfang der Antrag Fristen des Festsetzungsverfahrens berührt. Gerade wenn Steuerpflichtige den Antrag verspätet einreichen, kommt es auf die enge Auslegung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung nach § 169 Abgabenordnung an sowie auf die Frage, ob ein solcher Antrag eine Anlaufhemmung im Sinne des § 170 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 Abgabenordnung auslöst.
Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur verspäteten Antragstellung
Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil VI R 17/23 vom 14. Mai 2025 klargestellt, dass die Stellung eines Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Absatz 6 Einkommensteuergesetz keine Pflichtveranlagung im Sinne des § 46 Absatz 2 Einkommensteuergesetz auslöst, wenn der Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist gestellt wird. Damit entfaltet der Antrag keine anlaufhemmende Wirkung im Sinne des § 170 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 Abgabenordnung. Entscheidend war, dass eine Anlaufhemmung nur dann eintritt, wenn eine Steuererklärung rechtzeitig eingereicht oder eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtveranlagung besteht. Wird der Antrag hingegen nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Abgabenordnung gestellt, ist die Steuerfestsetzung formell verfristet, unabhängig von der materiellen Berechtigung des Steuerpflichtigen auf eine günstigere Besteuerung.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs unterstreicht, dass eine verspätete Günstigerprüfung keine eigenständige Verpflichtung zur Steuerveranlagung begründet. Kapitaleinkünfte, die zwar dem pauschalen Abgeltungsteuersatz unterliegen, aber keiner Kapitalertragsteuererhebung unterfallen, müssen dennoch in die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte im Sinne des § 46 Absatz 2 Nummer 1 Einkommensteuergesetz einbezogen werden. Für die Praxis bedeutet dies, dass Steuerpflichtige und ihre steuerlichen Berater die Fristenlage sorgfältig überwachen müssen. Ein nachträglicher Antrag kann nicht mehr zu einer nachträglichen Festsetzung oder Änderung führen, selbst wenn eine tarifliche Besteuerung günstiger wäre.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen und Privatpersonen
Für Unternehmen, die betriebliche oder private Kapitalanlagen halten, sowie für Einzelunternehmende und Freiberufler stellt sich die Herausforderung, Kapitaleinkünfte zutreffend in der Steuererklärung abzubilden und den Zeitpunkt einer etwaigen Antragstellung strategisch zu planen. Gerade in Unternehmensstrukturen, bei denen Kapitaleinkünfte aus Beteiligungen oder Finanzanlagen anfallen, ist es essenziell, rechtzeitig zu prüfen, ob eine Günstigerprüfung lohnenswert ist und welche steuerlichen Konsequenzen sich daraus ergeben. Steuerpflichtige, die ihre Kapitaleinkünfte traditionell durch Kreditinstitute pauschal versteuern lassen, übersehen oft, dass Einkünfte außerhalb der Kapitalertragsteuerpflicht – etwa aus privaten Darlehensvergaben oder Beteiligungsverkäufen im Ausland – eigenständig erklärt werden müssen.
In diesen Fällen kann eine Günstigerprüfung nur wirken, wenn sie innerhalb der laufenden Festsetzungsfrist beantragt wird. Nach deren Ablauf scheitert nicht nur die Antragstellung, sondern auch die Möglichkeit, eine Pflichtveranlagung erzwingen zu können. Aus Sicht der steuerlichen Beratung empfiehlt sich daher eine proaktive Kommunikation mit Mandanten, um Kapitalerträge und Fristen regelmäßig abzugleichen. Durch die zunehmende Digitalisierung des Bankwesens und automatisierte Meldungen an die Finanzverwaltung werden etwaige Widersprüche zwischen erklärten und angezeigten Kapitalerträgen schneller entdeckt. Wer Fristen versäumt, kann sich nicht auf eine nachträgliche steuerliche Korrektur verlassen.
Fazit und Handlungsempfehlung für die Praxis
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer fristgerechten Antragstellung auf Günstigerprüfung und hebt hervor, dass eine verspätete Antragstellung nicht nur materiell, sondern auch verfahrensrechtlich folgenlos bleibt. Die Festsetzungsfristen nach der Abgabenordnung sind strikt zu beachten und lassen keine nachträgliche Heilung zu. Für Steuerpflichtige und Unternehmen gilt daher, frühzeitig zu klären, ob die Günstigerprüfung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorteilhaft ist und welche Bedingungen erfüllt sein müssen. Eine systematische Prüfung aller Kapitalerträge und eine lückenlose Dokumentation sind hierbei unerlässlich, um steuerliche Risiken und mögliche Nachteile zu vermeiden.
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