Grenzgängerregelung im DBA-Schweiz: Voraussetzungen und aktuelle Auslegung
Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 19. September 2025 (Az. VI B 3/25) erneut präzisiert, unter welchen Bedingungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz als Grenzgängerinnen und Grenzgänger gelten. Diese Entscheidung ist von erheblicher Relevanz für Unternehmen, Steuerberatende und insbesondere für Beschäftigte in grenznahen Regionen. Der Kernpunkt betrifft die sogenannte 60-Tage-Regel des Artikels 15a des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland–Schweiz 1971 in seiner Fassung von 2010. Danach verliert eine Person ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie im gesamten Kalenderjahr aufgrund der Arbeitsausübung an mehr als 60 Arbeitstagen nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Der Beschluss stellt klar, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in diese Tage nicht einzurechnen sind. Damit bringt die Entscheidung ein Stück Rechtssicherheit, insbesondere für Arbeitnehmer im Gesundheitswesen oder in technischen Betrieben, die wechselnde Einsatzorte haben.
Im behandelten Fall hatte ein in Deutschland wohnhafter Arbeitnehmer, der in der Schweiz tätig war, argumentiert, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten die Zahl der "Nichtrückkehrtage" reduzieren müssten. Diese Auffassung teilte der Bundesfinanzhof nicht. Weder der Wortlaut des Abkommens noch die Protokollvereinbarungen zwischen den Vertragsstaaten bieten eine solche Grundlage. Unternehmen, die Mitarbeitende im Rahmen von Entsendungen oder grenzüberschreitenden Tätigkeiten beschäftigen, müssen damit weiterhin zwingend die einfache arithmetische 60-Tage-Grenze beachten – unabhängig von Ausfallzeiten wegen Krankheit oder Urlaub.
Einordnung und steuerliche Bewertung der Entscheidung
Im Mittelpunkt der rechtlichen Begründung steht der klare Wortlaut des Artikels 15a Absatz 2 Satz 2 des Abkommens. Dieser spricht ausschließlich von Nichtrückkehrtagen, die aufgrund der Arbeitsausübung entstehen. Damit sind nur jene Abwesenheiten relevant, bei denen Arbeitnehmer tatsächlich im Rahmen ihres Berufes übernachten müssen und nicht an den Wohnsitz zurückkehren. Der Bundesfinanzhof betont, dass weder Krankheitstage noch Urlaubstage dazu zählen. Diese Auslegung stützt sich auf das Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll von 1991, das eine verbindliche Konkretisierung der Begriffe enthält. Der Begriff der Grenzgängerregelung selbst zielt auf Personen ab, die regelmäßig in einem anderen Land arbeiten, aber ihren Lebensmittelpunkt – also die unbeschränkte Steuerpflicht – im Ansässigkeitsstaat behalten.
Die Entscheidung unterstreicht die strikte Trennung zwischen beruflich veranlasster und privat bedingter Nichtrückkehr. Sie stärkt damit die Rechtssicherheit für alle Beteiligten, verschärft aber zugleich die Pflichten zur genauen Dokumentation grenzüberschreitender Arbeitstage. Unternehmen, insbesondere mittelständische Betriebe mit Mitarbeitenden in der Schweiz, müssen künftig noch präziser Buch führen, wann Beschäftigte tatsächlich von der Schweiz aus tätig sind und an welchen Tagen sie nicht zurückkehren. Die Beweislast liegt dabei in der Praxis oft beim Arbeitnehmer, im Rahmen betrieblicher Lohnabrechnungsprozesse aber faktisch auch beim Arbeitgeber, der Bescheinigungen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck ausstellen muss.
Auswirkungen auf Unternehmen, Steuerberatende und spezialisierte Betriebe
Die Tragweite dieses Beschlusses geht über den Einzelfall hinaus. Kleine und mittelständische Unternehmen, insbesondere im Pflegebereich, in Krankenhäusern, in der Logistik und bei technischen Dienstleistungen, sind oft von grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen betroffen. Pflegeeinrichtungen etwa, die Personal aus der Schweiz beschäftigen oder dorthin entsenden, müssen sicherstellen, dass alle Rückkehrtage korrekt dokumentiert werden. Für Onlinehändler oder IT-Dienstleister mit hybriden Modellen spielt die Entscheidung dann eine Rolle, wenn Mitarbeitende regelmäßig reisebedingt in der Schweiz tätig sind und dort Zwischenübernachtungen einlegen.
Für Steuerberatende bedeutet der Beschluss eine wichtige Festigung der Auslegungspraxis. Die bisherige Diskussion, ob Krankheitstage oder ähnliche Unterbrechungen eine anteilige Reduzierung der 60-Tage-Grenze rechtfertigen, ist damit beendet. Die Dokumentation bleibt damit der entscheidende Faktor. Praktisch empfiehlt es sich, bei grenzüberschreitendem Personal strukturierte Erfassungsprozesse zu implementieren. Dazu zählt die regelmäßige Abstimmung zwischen Personalabteilung, Lohnbuchhaltung und Steuerberatungskanzlei. Moderne digitale Zeiterfassungssysteme können helfen, Rückkehrtage revisionssicher zu belegen und Streitfragen mit den Finanzbehörden zu vermeiden. Diese Entscheidung hat damit auch eine technische Dimension, denn wer Prozesse digitalisiert und transparente Datengrundlagen schafft, kann steuerliche Risiken deutlich minimieren.
Für Finanzinstitute und andere Arbeitgeber mit mehreren Standorten im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet wird die strikte Anwendung der 60-Tage-Regel auch aus Compliance-Sicht bedeutsam. Eine unzutreffende Beurteilung der Grenzgängereigenschaft kann zur falschen Quellensteuerabführung führen und somit finanzielle sowie haftungsrechtliche Folgen haben. Gerade hier ist das Zusammenspiel von juristischer Beratung, interner Buchführung und digital gestützter Dokumentation zentral.
Schlussfolgerung und Handlungsempfehlung für die Praxis
Der Beschluss des Bundesfinanzhofs verdeutlicht, dass der Grenzgängerstatus nach Artikel 15a des Doppelbesteuerungsabkommens strikt anhand objektiver Kriterien zu beurteilen ist. Die 60-Tage-Regel bleibt ein starres, aber transparentes Instrument, das eindeutige Nachweise verlangt. Krankheit, Urlaub oder andere private Verhinderungen beeinflussen die Berechnung nicht. Für kleine und mittlere Unternehmen, die regelmäßig Mitarbeitende über die Grenze entsenden, wird die lückenlose Dokumentation der Rückkehrtage zur zentralen Aufgabe der Steuer- und Personalabteilung. Steuerberatende Kanzleien sollten Mandanten aktiv darauf hinweisen, wie wichtig strukturierte Nachweise sind, um spätere Konflikte mit Finanzbehörden zu vermeiden.
Die Entscheidung führt einmal mehr vor Augen, dass steuerliche Prozesse eng mit organisatorischer und digitaler Prozessführung verknüpft sind. Unternehmen, die bereits auf automatisierte Buchhaltung und digitale Schnittstellen setzen, können hier einen erheblichen Vorteil erzielen. Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen verschiedener Branchen, von Pflegeeinrichtungen über Handelsbetriebe bis hin zu Onlinehändlern, bei der Prozessoptimierung in der Buchhaltung und der Digitalisierung administrativer Abläufe. Die Erfahrung zeigt: Wer steuerliche Abläufe strukturiert digitalisiert, spart nicht nur Kosten, sondern gewinnt nachhaltige Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht.
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