Gewinnerzielungsabsicht bei anhaltenden Verlusten – Neue Maßstäbe des Bundesfinanzhofs
Mit Urteil vom 21. Mai 2025 (Az. III R 45/22) hat der Bundesfinanzhof zentrale Grundsätze zur steuerlichen Gewinnerzielungsabsicht und zur Abgrenzung steuerlich relevanter gewerblicher Tätigkeiten von privater Liebhaberei präzisiert. Streitgegenständlich war ein Unternehmer, der über viele Jahre mit der Sanierung und geplanten gewerblichen Nutzung eines historischen Gebäudekomplexes – einer denkmalgeschützten Burg – Verluste erwirtschaftete. Die Finanzbehörden hatten diese Verluste wegen vermeintlich fehlender Gewinnerzielungsabsicht nicht mehr anerkannt. Der Bundesfinanzhof hob das vorhergehende Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern auf und forderte eine erneute Sachaufklärung. Diese Entscheidung klärt nicht nur Grundsatzfragen für Eigentümer historischer Immobilien, sondern betrifft insbesondere Unternehmerinnen und Unternehmer, die in langwierige und anfangs verlustträchtige Projekte investieren – etwa in Hotellerie, Pflegeeinrichtungen oder den Onlinehandel.
Nach § 15 Abs. 2 Einkommensteuergesetz gilt als Gewerbebetrieb jede selbständige nachhaltige Tätigkeit mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, die sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt. Fehlt diese Gewinnerzielungsabsicht, handelt es sich steuerlich um Liebhaberei. Über die Jahre aufgelaufene Verluste dürfen dann nicht mehr mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden. Der hier besprochene Fall zeigt, wie wichtig eine nachvollziehbare, betriebswirtschaftlich fundierte Gesamtprognose – die sogenannte Totalgewinnprognose – für die Anerkennung gewerblicher Einkünfte ist.
Auslegung und Begründung des Urteils – Totalgewinn und stille Reserven
Der Bundesfinanzhof stellte zunächst klar, dass eine Totalgewinnprognose die gesamte Lebensdauer des Unternehmens umfassen muss, also sowohl die bisherigen Ergebnisse als auch die voraussichtlichen künftigen Gewinne oder Verluste. Entscheidend ist, ob der Betrieb im Ergebnis auf die Erzielung eines positiven Totalgewinns angelegt ist. Dabei sind nicht nur laufende Einnahmen zu berücksichtigen, sondern auch eventuelle Veräußerungs- oder Aufgabegewinne, zum Beispiel durch stille Reserven im Betriebsvermögen. Stille Reserven sind Wertsteigerungen von Vermögensgegenständen, die in der Bilanz noch nicht realisiert wurden, etwa durch Sanierung oder steigende Immobilienwerte.
Das Finanzgericht hatte in der Vorinstanz diese stillen Reserven unberücksichtigt gelassen, da sie nicht schon zu Beginn im Betriebskonzept erfasst waren. Dies wies der Bundesfinanzhof ausdrücklich zurück. Auch wenn stille Reserven bei Betriebsaufnahme noch gar nicht konkret quantifizierbar sind, können sie in einer späteren Betriebsaufgabe oder ‑veräußerung steuerlich relevant werden. Maßgeblich ist, ob mit realistischer Wahrscheinlichkeit bei Beendigung des Betriebs ein steuerbarer Gewinn erwartet werden kann. Diese Sichtweise erweitert die Kriterien für eine positive Totalgewinnprognose und gibt Unternehmen mit langfristigen Projekten – wie Bau- oder Sanierungsvorhaben – mehr Rechtssicherheit.
Der Senat betonte zudem, dass persönliche Motive allein eine gewerbliche Tätigkeit nicht disqualifizieren, solange sie von einer objektiv nachvollziehbaren Ertragsabsicht getragen wird. Unternehmerische Fehlentscheidungen, Projektverzögerungen oder zwischenzeitliche Verluste sind für sich genommen kein Zeichen mangelnder Gewinnerzielungsabsicht. Erst wenn keine betriebswirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen ergriffen werden, um Verluste zu begrenzen oder Ursachen zu analysieren, kann auf Liebhaberei geschlossen werden. Diese Differenzierung wird in der Praxis häufig unterschätzt.
Relevanz für kleine und mittelständische Unternehmen in der Praxis
Für kleine und mittlere Unternehmen, die in kapitallastige oder langfristig angelegte Vorhaben investieren, ist diese Entscheidung von erheblicher Bedeutung. Ob es sich um die Modernisierung einer Pflegeeinrichtung, die Erweiterung eines Hotels, die Einrichtung eines digitalen Vertriebs im Onlinehandel oder den Ausbau einer landwirtschaftlichen Betriebsstätte handelt – die Frage, ob Verluste steuerlich anerkannt werden, hängt maßgeblich von der dokumentierten Gewinnerzielungsabsicht ab. Der Bundesfinanzhof gibt Unternehmern jetzt größere Gestaltungssicherheit, wenn ihre Strategie auf künftige Wertsteigerungen und einen langfristigen Totalgewinn ausgerichtet ist.
Praktisch bedeutet das, dass Geschäftsführende und steuerliche Beraterinnen oder Berater ihre betriebswirtschaftlichen Konzepte laufend überprüfen und anpassen sollten. Eine aussagekräftige Totalgewinnprognose sollte realistische Annahmen über Investitionskosten, Einnahmequellen, Abschreibungen und mögliche stille Reserven enthalten. Auch Fördermittel, staatliche Zuschüsse oder Spenden – wie im entschiedenen Fall – sind einzubeziehen, da sie sich beim späteren Verkauf oder der Aufgabe des Betriebs auf die steuerliche Bewertung auswirken können. Wesentlich ist außerdem, dass der Betrieb dauerhaft am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, also nach außen hin echte Marktchancen nutzt. Für Onlinehändler bedeutet das beispielsweise, dass ihr Geschäftsmodell skalierbar, datenbasiert und auf nachhaltige Erträge ausgelegt sein sollte. Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser wiederum müssen durch effiziente Betriebsführung, transparente Kalkulation und gezielte Investitionen in Infrastruktur belegen können, dass sie wirtschaftlich sinnvoll handeln.
Für Steuerberatende ergibt sich aus dem Urteil die Pflicht, ihre Mandantinnen und Mandanten verstärkt auf den Zusammenhang zwischen unternehmerischem Konzept, Totalgewinnprognose und steuerlicher Anerkennung hinzuweisen. Die Dokumentation wird hier zur entscheidenden Beweisquelle. In Betriebsprüfungen ist sie oft das einzige objektive Mittel, um die Gewinnerzielungsabsicht zu belegen. Fehlt sie, drohen die Verluste aberkannt und steuerliche Nachforderungen.
Schlussfolgerung und Handlungsempfehlung für Unternehmer
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs verdeutlicht, dass die steuerliche Anerkennung langjähriger Verluste nicht allein von kurzfristigen Erträgen abhängt, sondern von einer schlüssigen, langfristigen Ertragsstrategie. Unternehmer sollten Investitionen stets mit betriebswirtschaftlicher Weitsicht planen und dokumentieren, auch wenn der Gewinn erst nach vielen Jahren sichtbar wird. Eine ordnungsgemäße Totalgewinnprognose, die stille Reserven, Abschreibungen und potenzielle Wertsteigerungen berücksichtigt, ist das zentrale Instrument, um gegenüber dem Finanzamt die Gewinnerzielungsabsicht glaubhaft zu machen. Für Branchen mit hohen Investitionszyklen – wie Bauwirtschaft, Gesundheitswesen oder digitaler Handel – wirkt diese Rechtsprechung entlastend, da sie den unternehmerischen Realitäten besser Rechnung trägt.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der Erstellung rechtssicherer Gewinnprognosen, der steuerlichen Optimierung ihrer Geschäftsprozesse und der Digitalisierung ihrer Buchhaltungsabläufe. Durch effiziente Prozessoptimierung und digitale Lösungen konnten wir wiederholt deutliche Kostenersparnisse bei unseren Mandanten erzielen, unabhängig davon, ob sie als Start-up, Onlinehändler oder Pflegeunternehmen tätig sind.
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