Einordnung des Neuromodulationsanzugs im Sozialversicherungsrecht
Mit Urteil vom 23. Juli 2025 (Az. L 1 KR 151/24) hat das Sächsische Landessozialgericht eine Entscheidung mit erheblicher Relevanz für das Gesundheitswesen und alle Einrichtungen getroffen, die in pflegerischen und medizinischen Kontexten arbeiten. Konkret ging es um einen sogenannten Neuromodulationsanzug, bestehend aus einer Jacke und einer Hose mit insgesamt 58 Elektroden, die elektrische Impulse an den Körper abgeben und dadurch Muskelspannungen und Schmerzen reduzieren sollen. Die gesetzliche Krankenversicherung wurde von einer Versicherten auf Übernahme der Kosten verklagt, da diese durch das Hilfsmittel eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensqualität erwartete. Das Gericht stellte dabei die entscheidende Frage nach der rechtlichen Einordnung des Anzugs.
Nach § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ist die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, Hilfsmittel zu gewähren, die den Erfolg der Krankenbehandlung sichern oder eine Behinderung ausgleichen. Derartige Hilfsmittel unterscheiden sich von reinen Verbrauchsmitteln oder allgemeinen Gebrauchsgegenständen. Der Neuromodulationsanzug wurde vom Gericht allerdings nicht als klassisches Hilfsmittel zur Unterstützung im Alltag bewertet, sondern vielmehr als Teil einer neuartigen Behandlungsmethode. Diese juristische Differenzierung hatte erhebliche Konsequenzen für die Entscheidung.
Bedeutung der Abgrenzung zwischen Hilfsmittel und neuer Behandlungsmethode
Hilfsmittel, die auf dem Markt verfügbar und medizinisch anerkannt sind, können von der Krankenkasse erstattet werden, wenn ihre Notwendigkeit nachweisbar ist. Eine Behandlungsmethode ist jedoch dann als neu einzustufen, wenn sie sich von bisherigen Behandlungsansätzen unterscheidet und auf innovativen therapeutischen Wirkmechanismen basiert. Diese Einordnung fällt in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch. Dort ist ausdrücklich geregelt, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss, ein zentrales Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen, diese positiv bewertet und in die entsprechenden Richtlinien aufgenommen hat.
Das Gericht stellte klar, dass der Neuromodulationsanzug eine derartige neue Behandlungsmethode darstellt. Da eine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bislang nicht vorliegt, fehlt die rechtliche Grundlage für eine Kostenübernahme. Dieser Punkt war schließlich ausschlaggebend dafür, dass die Klage auf Versorgung abgelehnt wurde.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen im Gesundheitswesen
Die Entscheidung hat nicht nur direkte Auswirkungen auf Versicherte, sondern betrifft ebenso Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Unternehmen, die sich auf innovative Medizintechnik spezialisiert haben. Insbesondere für Hersteller innovativer Medizinprodukte und deren Vermarktung bedeutet das Urteil, dass eine enge Abstimmung mit den Bewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses unerlässlich ist, wenn die Produkte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zum Einsatz kommen sollen. Ohne eine positive Bewertung bleiben die Produkte auf Selbstzahlerleistungen oder auf private Krankenversicherungen beschränkt. Für Pflegeeinrichtungen, die häufig nach innovativen Ansätzen suchen, führt dies zu einer erhöhten Unsicherheit in der Planung medizinischer Anschaffungen.
Gerade kleinere Einrichtungen im Bereich der Pflege oder spezialisierte Kliniken stehen dadurch vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits möchten sie den Patientinnen und Patienten wirksame neue Behandlungsmethoden zugänglich machen, andererseits müssen sie sicherstellen, dass diese Methoden auch wirtschaftlich abgebildet und finanzierbar sind. Für Unternehmen, insbesondere im Medizintechnikbereich, unterstreicht das Urteil die Dringlichkeit, regulatorische Prozesse frühzeitig zu berücksichtigen und Kosten-Nutzen-Nachweise vorzeitig aufzubereiten.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts macht deutlich, wie entscheidend die Einordnung zwischen Hilfsmittelversorgung und Krankenbehandlungsmethode im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Solange ein innovatives Produkt wie der Neuromodulationsanzug ohne Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses auf dem Markt ist, können gesetzlich Versicherte auf eine Übernahme der Kosten nicht setzen. Unternehmen im Gesundheitswesen wie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und auch Anbieter von innovativen Therapielösungen sollten dies bei Investitionsentscheidungen unbedingt berücksichtigen und die rechtlichen Rahmenbedingungen bereits in der Produktentwicklung im Blick haben.
Für Unternehmerinnen und Unternehmer bleibt es daher essenziell, die Entwicklungen im Sozialversicherungsrecht eng zu verfolgen und sich rechtzeitig auf neue Vorgaben einzustellen. Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Automatisierung ist es zudem wichtig, die eigenen Prozesse effizient auszurichten. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen umfassend bei der Digitalisierung und Optimierung ihrer buchhalterischen Abläufe. Mit dieser Beratungskompetenz tragen wir dazu bei, nachhaltige Kostenersparnisse und eine zukunftsorientierte Prozesslandschaft zu schaffen.
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