BFH präzisiert Auslegung des § 20 Abs. 4a EStG bei strukturierten Anleihen
Mit seiner Entscheidung vom 3. Juni 2025 (Az. VIII R 9/22) hat der Bundesfinanzhof klargestellt, dass § 20 Absatz 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes nur dann Anwendung findet, wenn der Emittent oder der Inhaber einer Kapitalanlage ein einseitiges Wahlrecht besitzt, anstelle einer Geldzahlung Wertpapiere zu liefern oder zu verlangen. Damit beendet der Bundesfinanzhof eine längere Phase der Rechtsunsicherheit, in der verschiedene Finanzgerichte noch unterschiedlich über die steuerliche Behandlung komplexer Index- und Umtauschanleihen geurteilt hatten. Der Kerngedanke der Entscheidung ist, dass der bloße Eintritt bestimmter Bedingungen, die zur Lieferung von Wertpapieren führen, kein dem Gesetz entsprechendes Andienungsrecht begründet.
Für den entschiedenen Fall hatte ein Steuerpflichtiger eine strukturierte Indexanleihe erworben, deren Rückzahlung von der Entwicklung eines Referenzwerts abhing. Bei Fälligkeit erhielt er statt des Nominalbetrags eine Kombination aus Geld und TecDAX-Zertifikaten, also Wertpapieren. Da die Emissionsbedingungen jedoch kein echtes Wahlrecht vorsahen, sondern die Rückzahlungsmodalität ausschließlich vom Indexstand abhängig war, kam der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis, dass § 20 Absatz 4a Satz 3 EStG nicht greift. Entscheidend sei, dass kein einseitiges Gestaltungsrecht hinsichtlich der Rückzahlungsform bestand.
Rechtliche Einordnung und Argumentation des Bundesfinanzhofs
Die Entscheidung rückt die systematische und teleologische Auslegung des Einkommensteuergesetzes in den Mittelpunkt. Der Bundesfinanzhof betont den Charakter der Norm als technische Vorschrift zur Berechnung von Anschaffungskosten und Veräußerungspreisen, die nur auf Fälle angewendet werden kann, in denen ein Emittent oder Anleger tatsächlich ein Andienungsrecht, also ein einseitiges Gestaltungsrecht, ausübt. Fehlt ein solches Recht, handelt es sich vielmehr um eine Rückzahlung mit Sachleistungskomponente, die steuerlich als Einlösung einer Kapitalforderung zu behandeln ist. Der gesamte Vorgang ist dann nach § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 EStG einheitlich als Veräußerungsvorgang zu erfassen.
Dieses Verständnis lehnt eine weite Auslegung der Norm ab, wonach auch fest terminierte Rückzahlungen mit sachlicher Gegenleistung unter § 20 Absatz 4a Satz 3 EStG fallen könnten. Der Bundesfinanzhof sieht in einer solchen Auslegung eine unzulässige Erweiterung des Gesetzeszwecks. Schon der gesetzliche Wortlaut, insbesondere das Tatbestandsmerkmal „Recht“, verlange das Bestehen eines einseitigen Willensakts. Der Gerichtshof greift damit auch auf Begriffsbestimmungen anderer Rechtsgebiete wie das Börsengesetz und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zurück, die ein „Andienungsrecht“ durch die rechtliche Möglichkeit der einseitigen Ausübung definieren.
Zur Verdeutlichung seiner Auffassung verweist das Gericht auf den gesetzgeberischen Ursprung der Vorschrift, die an klassische Wandel- und Umtauschanleihen angelehnt ist. Diese Produkte setzen typischerweise voraus, dass der Emittent oder Inhaber frei entscheiden kann, ob ein Umtausch oder eine Auszahlung in Geld erfolgt. Eine Übertragung auf Konstrukte ohne solches Wahlrecht, etwa bei bedingten Rückzahlungsmechanismen, widerspräche nach Auffassung des Gerichts dem gesetzgeberischen Ziel einer praktikablen Handhabung der Abgeltungsteuer. Der vom Bundesfinanzhof angewandte Gesetzeszweck schützt auch Unternehmen und Finanzdienstleister, die für den Kapitalertragsteuerabzug verantwortlich sind, vor einer kaum handhabbaren Ausweitung der Prüfungspflichten.
Folgen für Unternehmen, Kapitalanleger und Steuerberatungspraxis
Die Tragweite dieser Entscheidung erstreckt sich weit über den Einzelfall hinaus. Besonders betroffen sind Finanzinstitute und Emittenten, die strukturierte Kapitalanlagen wie Index-, Bonus- oder Aktienanleihen gestalten. Ohne ein ausdrückliches vertragliches Wahlrecht zwischen Rückzahlung in Geld oder Lieferung von Wertpapieren kann § 20 Absatz 4a Satz 3 EStG künftig nicht mehr angewendet werden. Für die Praxis bedeutet dies, dass Anschaffungskosten nicht auf erhaltene Wertpapiere übergehen und Veräußerungsgewinne oder Verluste aus der anschließenden Veräußerung getrennt zu ermitteln sind. Dies beeinflusst die steuerliche Beurteilung komplexer Kapitalprodukte erheblich.
Kleine und mittelständische Unternehmen, die solche Finanzprodukte zur Liquiditätssteuerung oder als Teil ihrer Kapitalanlagen einsetzen, sollten gemeinsam mit ihren Steuerberatenden prüfen, ob bisherige Annahmen zur Verlustverrechnung weiterhin tragfähig sind. Besonders in Fällen, in denen Gesellschafter-Geschäfte zwischen verbundenen Unternehmen – wie im Streitfall die Veräußerung von Wertpapieren an die eigene GmbH – durchgeführt werden, müssen Gestaltungsrisiken sorgfältig analysiert werden. Pflegeeinrichtungen, Kliniken oder Bildungsanbieter, die Kapitalüberschüsse über ähnliche Instrumente anlegen, sind ebenso betroffen, da die steuerliche Erfassung von Kapitalerträgen unmittelbar auf Jahresüberschuss und Rücklagenbildung wirkt. Für Onlinehändler oder technologieorientierte Mittelständler mit Treasury-Funktionen ist der richtige Umgang mit Rückzahlungsbedingungen strukturierter Anleihen entscheidend, um spätere steuerliche Korrekturen zu vermeiden.
Für Steuerberatungsgesellschaften und Finanzabteilungen ist die Entscheidung daher ein erneuter Hinweis, Vertragsbedingungen von Kapitalanlagen auf die Existenz echter Wahlrechte zu analysieren. Nur wenn die Dokumentation eindeutig zeigt, dass ein einseitiges Andienungs- oder Wahlrecht besteht, kann eine Behandlung gemäß § 20 Absatz 4a Satz 3 EStG erfolgen. In der Praxis wird dieser Aspekt künftig verstärkt in die Compliance- und Dokumentationsprozesse bei Banken und institutionellen Anlegern einfließen müssen.
Ausblick und Handlungsempfehlung für die Praxis
Der Bundesfinanzhof setzt mit dieser Entscheidung ein deutliches Signal für die strikte Anwendung gesetzlicher Wortlautauslegung im Bereich der Kapitaleinkünfte. Unternehmen sollten ihre Anlagestrategien und Verträge auf steuerliche Unsicherheiten hin überprüfen. Für Finanzinstitute, die als Kapitalertragsteuerabzugsverpflichtete fungieren, schafft das Urteil Rechtssicherheit, verhindert aber zugleich die steuerliche Anerkennung mancher Verlustkonstruktionen. Die Rechtsprechung stärkt die formale Trennung zwischen Kapitalrückzahlung, Umtausch und Einlösung und betont die klare Notwendigkeit eines rechtswirksam eingeräumten Gestaltungsrechts. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten stellt dies eine Einladung an Unternehmen dar, interne Prozesse zur Prüfung steuerlicher Relevanz ihrer Finanzinstrumente zu schärfen. Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen profitieren davon, wenn steuerliche Prozessabläufe digitalisiert und standardisiert werden, um derartige Detailfragen frühzeitig zu erkennen.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen, Finanzabteilungen und spezialisierte Betriebe – von Pflegeeinrichtungen bis zu Onlinehändlern – bei der Optimierung von Buchhaltungs- und Steuerprozessen. Durch die gezielte Digitalisierung von Abläufen und die Einführung standardisierter Prüfverfahren erzielen unsere Mandantinnen und Mandanten nachhaltige Prozesssicherheit und messbare Kosteneinsparungen in der steuerlichen Verwaltung.
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