Die jüngste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Juli 2025 (Aktenzeichen 6 AZR 2/25) schafft Klarheit in einem für den öffentlichen Dienst überaus relevanten Bereich: der Frage, ob die Pflegezulage auf eine persönliche Zulage zur Einkommenssicherung nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr, kurz TV UmBw, anzurechnen ist. Diese Entscheidung betrifft nicht nur Dienststellen der Bundeswehr, sondern ist für alle Einrichtungen im öffentlichen Gesundheitswesen, die unter vergleichbare tarifliche Regelungen fallen, von erheblichem Interesse. Gerade Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und andere medizinische Arbeitgeber im Bereich des öffentlichen Dienstes können hiervon wertvolle Rückschlüsse ziehen, wenn sie mit tariflichen Besitzstandszulagen und neu eingeführten Entgeltkomponenten umgehen müssen.
Rechtsrahmen und tariflicher Hintergrund
Der TV UmBw regelt, wie Einkommensverluste auszugleichen sind, die Beschäftigte infolge von Umstrukturierungen im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums erleiden. Arbeitnehmer, deren Stellen abgebaut oder Organisationsänderungen unterworfen werden, erhalten eine persönliche Zulage, die ihre bisherige Vergütung sichert. Diese Einkommenssicherung ist neben dem Tabellenentgelt besonders für Arbeitnehmer konzipiert, die infolge von Rationalisierungsmaßnahmen auf geringer bewertete Stellen umgesetzt werden.
Im Mittelpunkt des Falles stand die Pflegezulage, die nach § 52 Absatz 6 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst – Besonderer Teil Krankenhäuser – eingeführt wurde. Diese Zulage, ursprünglich als zusätzliche Wertschätzung für Pflegekräfte gedacht, betrug seit März 2021 zunächst 70 Euro monatlich und wurde in den Folgejahren schrittweise angepasst. Der Kläger, ehemals in einer höheren Entgeltgruppe beschäftigt, erhielt neben seiner neuen, geringer vergüteten Tätigkeit eine persönliche Einkommenssicherungszulage. Die Beklagte rechnete allerdings die Pflegezulage auf diese Einkommenssicherung an – der Kläger sah hierin einen Verstoß gegen die Tariflogik.
Begründung des Gerichts und juristische Würdigung
Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass die Pflegezulage als fester monatlicher Vergütungsbestandteil auf die persönliche Zulage zur Einkommenssicherung anzurechnen ist. Entscheidend ist die Auslegung des § 6 Absatz 3 Satz 6 TV UmBw, der ausdrücklich vorsieht, dass Entgeltbestandteile der neuen Tätigkeit auf die persönliche Zulage anzurechnen sind. Nach Auffassung der Richter ergibt sich dies sowohl aus dem Wortlaut als auch aus Systematik und Zweck des Tarifvertrages.
Eine Pflegezulage sei, so der Senat, keine allgemeine Entgelterhöhung. Eine solche liegt nur dann vor, wenn die Erhöhung des Entgelts allen Beschäftigten gleichermaßen zugutekommt. Da die Pflegezulage ausschließlich auf bestimmte Entgeltgruppen der Pflege beschränkt ist, fehlt dieser allgemeine Charakter. Der Zweck der Zulage – die Aufwertung des Pflegeberufs – sei für die rechtliche Einordnung als Entgeltbestandteil ohne Bedeutung. Maßgeblich sei allein, dass es sich um eine monatlich festgelegte Zulage handele, die Teil des Entgelts aus der neuen Tätigkeit sei. Genau dieses Entgelt müsse nach dem Tarifwortlaut auf die persönliche Zulage angerechnet werden.
Der Senat hob zudem hervor, dass der Zweck des § 6 TV UmBw darin besteht, Einkommenseinbußen zu vermeiden, nicht aber über die Sicherung des bisherigen Lebensstandards hinaus eine Überkompensation zu gewähren. Die tarifliche Einkommenssicherung diene dazu, Arbeitnehmer beim Wechsel auf geringer vergütete Positionen vor abrupten Einkommensverlusten zu schützen, nicht jedoch, eine dauerhaft höhere Vergütung sicherzustellen. Die vom Kläger geltend gemachte Differenz zwischen alter und neuer Vergütung habe sich – durch die Anrechnung der Pflegezulage – im zulässigen Rahmen reduziert. Insbesondere die Anrechnung auf die Einkommenssicherung verstoße weder gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes noch gegen den Schutzzweck des Tarifs. Eine Ungleichbehandlung liege nicht vor, da Beschäftigte mit und ohne Zulage hinsichtlich des Schutzbedarfs nicht vergleichbar seien.
Praxisrelevanz für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und Pflegeeinrichtungen
Das Urteil hat eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Es verdeutlicht, dass Zulagen, die nur für bestimmte Tätigkeitsgruppen gewährt werden, grundsätzlich als anrechenbare Entgeltbestandteile gelten. Für kleine und mittelständische Pflegeeinrichtungen, die sich an den tariflichen Regelungen des öffentlichen Dienstes orientieren, ist dies ein wichtiger Hinweis, wie Zulagen in der Entgeltstruktur zu berücksichtigen sind. Arbeitgeber sollten prüfen, ob und in welchem Umfang bestehende Besitzstands- oder Verdienstsicherungen durch neue Entgeltbestandteile berührt werden.
Auch für Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, die im Gesundheitssektor tätig sind, ergibt sich hieraus eine klare Handlungsanweisung für ihre Lohnbuchhaltung: Pflegezulagen und andere Tätigkeitszulagen sind in die Berechnungslogik der Einkommenssicherungszulagen einzubeziehen. Das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Tarifwerken kann dabei komplex sein, insbesondere wenn innerbetriebliche Umsetzungsvorgänge mit Entgeltgruppenwechseln einhergehen. Steuerberatende und Buchhaltungsverantwortliche sollten die Entscheidung des BAG nutzen, um bestehende Abrechnungssysteme auf rechtssichere Umsetzung der Tarifnormen zu überprüfen.
Darüber hinaus unterstreicht das Urteil die Grundregel tariflicher Besitzstandsregelungen: Eine Sicherung des bisherigen Entgelts ist keine dauerhafte Besserstellung, sondern ein befristeter Schutz vor Einkommensverlusten. Wird in der neuen Tätigkeit zusätzlich eine Funktions-, Pflege- oder Erschwerniszulage gezahlt, reduziert sich der Sicherungsbedarf entsprechend. Für die Personalplanung bedeutet dies, dass Veränderungen in der Vergütung systematisch evaluiert und transparent kommuniziert werden sollten. Personalverantwortliche in Krankenhäusern, Altenpflegeeinrichtungen und öffentlichen Verwaltungen profitieren von einem klaren Verständnis dieser Wechselwirkungen, da hierdurch Konflikte mit Beschäftigten frühzeitig vermieden werden können.
Schlussfolgerung und Handlungsempfehlung
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung eine Linie fortgesetzt, die auf Rechtsklarheit und eine stringente Auslegung tariflicher Besitzstandsregelungen abzielt. Zulagen, die aufgrund der neuen Tätigkeit gewährt werden, sollen nicht zusätzlich zur Einkommenssicherung führen, sondern diese mindern, sobald sie den gesicherten Lebensstandard ausgleichen. Für Arbeitgeber im Gesundheits- und Pflegewesen, insbesondere kleine und mittelständische Häuser, bedeutet das Urteil eine rechtliche Orientierung: Pflegezulagen sind auf Einkommenssicherungszulagen anzurechnen, und eine doppelte Vergütung derselben Einkommensdifferenz ist tariflich ausgeschlossen.
Für die Praxis ist es ratsam, Personal- und Entgeltabrechnungen regelmäßig im Hinblick auf Tarifänderungen zu prüfen. Gerade in einer Zeit zunehmender Digitalisierung und Prozessautomatisierung kann die laufende Überwachung solcher Vorgaben erhebliche Einsparpotenziale eröffnen. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen, Pflegeeinrichtungen und andere Arbeitgeber bei der Digitalisierung und der Prozessoptimierung ihrer Buchhaltungssysteme – mit dem Ziel, rechtssichere und zugleich effiziente Abläufe zu schaffen, die Kosten reduzieren und Transparenz erhöhen.
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