Digitale Mandatsverträge als Fernabsatzgeschäfte
Die zunehmende Digitalisierung juristischer Dienstleistungen führt dazu, dass Mandatsverträge zwischen Anwaltskanzleien und Mandanten immer häufiger vollständig online abgeschlossen werden. Dies betrifft nicht nur Privatpersonen, sondern mitunter auch Personen, die in ihrer beruflichen Position Rechtsrat benötigen. Nach der Entscheidung des Landgerichts Flensburg vom 9. Oktober 2025 (Az. 4 O 80/25) können digital geschlossene anwaltliche Mandatsverträge als sogenannte Fernabsatzgeschäfte eingeordnet werden. Nach der Definition des § 312c Bürgerliches Gesetzbuch handelt es sich hierbei um Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden. Diese rechtliche Einordnung hat erhebliche Konsequenzen für den Honoraranspruch von Anwaltskanzleien.
Im konkreten Fall hatte eine ehemalige Geschäftsführerin einer kurzen Zeit bestehenden Gesellschaft ohne eigene geschäftliche Aktivitäten eine Kanzlei beauftragt, sie gegenüber dem Finanzamt in Haftungsfragen zu vertreten. Der gesamte Austausch – von der Beauftragung über die Mandatsbestätigung bis hin zu den Schriftsätzen – erfolgte digital, ohne ein persönliches Treffen. Das Gericht beurteilte das Vertragsverhältnis daher als Fernabsatzgeschäft mit den damit verbundenen verbraucherschützenden Rechtsfolgen.
Das Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch
Das Widerrufsrecht nach § 355 Bürgerliches Gesetzbuch gewährt Verbrauchern die Möglichkeit, innerhalb einer bestimmten Frist von einem Vertrag zurückzutreten. Dieses Recht besteht grundsätzlich auch dann, wenn ein Vertrag bereits teilweise erfüllt wurde. Nach § 312g Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch kann der Verbraucher bei einem Fernabsatzvertrag binnen 14 Tagen ab Vertragsschluss ohne Angabe von Gründen widerrufen. Erfolgt keine ordnungsgemäße Belehrung über dieses Widerrufsrecht, verlängert sich die Frist automatisch auf 12 Monate und 14 Tage, wie § 356 Absatz 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch regelt. Dies war im vom Landgericht Flensburg entschiedenen Fall gegeben, da die Kanzlei die Mandantin nicht korrekt über ihr Widerrufsrecht informiert hatte.
Das Gericht stellte damit klar, dass ein wirksamer Widerruf auch nach der Erbringung anwaltlicher Leistungen möglich ist. Selbst wenn die anwaltliche Tätigkeit bereits begonnen hat, bleibt das Widerrufsrecht bestehen, sofern keine rechtzeitig erteilte Widerrufsbelehrung vorliegt. Dies legt den Schwerpunkt künftig stärker auf die ordnungsgemäße vertragliche Gestaltung durch Kanzleien und auf klare Informationspflichten gegenüber Verbrauchern.
Rechtsfolgen eines wirksamen Widerrufs und der Entfall des Honoraranspruchs
Mit dem wirksamen Widerruf tritt die Rechtsfolge des § 357a Bürgerliches Gesetzbuch in Kraft, wonach die empfangenen Leistungen zurückzugewähren sind und kein Vergütungsanspruch für bereits erbrachte Leistungen entsteht, sofern der Vertrag nicht ausdrücklich auf eine sofortige Leistungserbringung ausgelegt wurde. Im entschiedenen Fall lehnte das Gericht sowohl einen Anspruch auf Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz als auch einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ab. Begründet wurde dies damit, dass die Regelungen des Verbraucherschutzrechts abschließend sind und ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht ausgeschlossen ist, um den Schutzzweck nicht zu unterlaufen. Besonders bemerkenswert ist die Argumentation, dass die Mandantin durch die anwaltliche Tätigkeit keinen messbaren Vermögensvorteil erlangt habe, da eine andere Kanzlei dieselbe Leistung im Rahmen der gesetzlichen Gebührenordnung deutlich kostengünstiger erbracht hätte. Damit entfiel der Honoraranspruch vollständig, obwohl die Leistung objektiv erbracht war.
Diese strikte Auslegung stärkt den Verbraucherschutz erheblich, stellt aber zugleich neue Anforderungen an die Gestaltung anwaltlicher Verträge. Kanzleien sind gehalten, insbesondere bei digitalen Vertragsabschlüssen klare Widerrufsbelehrungen zu erteilen und transparente Honorarvereinbarungen zu treffen, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Für Mandanten ergibt sich daraus wiederum ein höheres Maß an Sicherheit, da sie nicht Gefahr laufen, für unwirksam gewordene Leistungsversprechen zahlen zu müssen.
Praktische Konsequenzen für Kanzleien und Unternehmen
Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung einen deutlichen Handlungsbedarf in der Vertrags- und Mandatsgestaltung. Digitale Vertragsformen sind für viele rechtliche und steuerliche Dienstleistungen inzwischen Standard, doch die Einhaltung der Informationspflichten nach dem Verbraucherrecht bleibt oft unzureichend umgesetzt. Unternehmen, Kanzleien und insbesondere Selbstständige, die juristische Dienstleistungen digital anbieten, sollten ihre Prozesse kritisch überprüfen. Es empfiehlt sich, die Widerrufsbelehrung klar ersichtlich und vor Vertragsschluss zu kommunizieren sowie die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers zum sofortigen Tätigwerden einzuholen, wenn eine Vergütung trotz Widerruf erhalten bleiben soll.
Gleichzeitig ist die Abgrenzung zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Praxis entscheidend. Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit rechtlichen Rat einholen, handeln grundsätzlich als Unternehmer und fallen damit nicht unter die verbraucherschützenden Vorschriften. Allerdings zeigt der entschiedene Fall, dass Gerichte genau prüfen, ob tatsächlich eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt. Somit sollte die Zuordnung im Vorfeld eindeutig dokumentiert werden, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden.
Auch aus Sicht von kleinen und mittelständischen Unternehmen ergibt sich ein Lerneffekt, insbesondere im Umgang mit rechtsberatenden Dienstleistern und digitalen Vertragsabschlüssen. Unternehmen, die selbst digitale Dienstleistungen anbieten oder Onlinebeauftragungen ermöglichen, können aus dieser Entscheidung wertvolle Rückschlüsse ziehen, etwa bei der Gestaltung von Vertragsprozessen mit eigenen Kunden.
Fazit: Rechtssicherheit durch klare Prozesse und digitale Kompetenz
Die Entscheidung des Landgerichts Flensburg verdeutlicht die hohe Relevanz verbraucherschützender Normen auch im Bereich digitaler Rechtsdienstleistungen. Sie zeigt zugleich, dass die Gerichte die bestehenden Regelungen konsequent anwenden und so die Transparenz im Vertragswesen stärken. Kanzleien, aber auch andere Dienstleister sollten diese Entwicklung zum Anlass nehmen, ihre Prozesse rechtssicher zu gestalten, insbesondere bei der Kommunikation über elektronische Kanäle und beim Vertragsabschluss. Eine klare Dokumentation, Anpassung von Mandatsbedingungen und eine transparente Kundenkommunikation tragen entscheidend dazu bei, Haftungsrisiken zu minimieren und Vertrauen zu schaffen.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der digitalen Transformation ihrer kaufmännischen und rechtlichen Prozesse. Mit unserem Fokus auf Prozessoptimierung in der Buchhaltung und der Digitalisierung betrieblicher Abläufe helfen wir dabei, rechtliche Sicherheit und wirtschaftliche Effizienz miteinander zu verbinden und nachhaltige Kostenvorteile zu realisieren.
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