Bedeutung der Abgrenzung zwischen Dienstreise und Haupttätigkeit
In vielen Betrieben, insbesondere in größeren Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen, nimmt die Reisetätigkeit bestimmter Arbeitnehmer eine zentrale Rolle ein. Ob Fahrpersonal, mobile Servicetechniker oder Außendienstmitarbeitende – die rechtliche Einordnung dieser Tätigkeiten ist entscheidend für Fragen des Vergütungs- und Aufwendungsersatzes. Jüngst hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit seinem Urteil vom 16. Oktober 2025 (Az. 5 SLa 251/25) klargestellt, dass kein Anspruch auf Tagegeld besteht, wenn die eigentliche Fahrtätigkeit den Kern der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung darstellt. Damit wurde der bisherige Ansatz bestätigt, dass ein Anspruch auf Tagegeld nur bei echten Dienstreisen besteht, also bei auswärtigen Tätigkeiten, die über die Haupttätigkeit hinausgehen.
Der Begriff der Dienstreise bezeichnet im rechtlichen Sinne das vorübergehende Tätigwerden außerhalb der regelmäßigen Arbeitsstätte. Erfolgt die Tätigkeit hingegen ausschließlich und typischerweise außerhalb des Betriebs, wie etwa bei Fahrern, liegt keine vorübergehende Abwesenheit vor, sondern die maßgebliche Arbeitsleistung selbst. Diese Unterscheidung ist nicht nur tarifrechtlich, sondern auch steuerrechtlich von großer Relevanz. Sie entscheidet darüber, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf steuer- und sozialversicherungsfreie Verpflegungspauschalen hat und ob Arbeitgeber entsprechende Leistungen gewähren müssen oder freiwillig gewähren können.
Rechtlicher Hintergrund und Auslegung des Tarifvertrags
Im Mittelpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand die Auslegung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Dieser verweist hinsichtlich des Tagegeldanspruchs für Arbeitnehmer im Landesdienst auf die für Beamte geltenden Reisekostenvorschriften. Diese sehen ein Tagegeld lediglich für den Fall einer Dienstreise vor. Nach Auffassung des Gerichts stellt die Fahrtätigkeit eines persönlichen Fahrers eines Ministers jedoch keine Dienstreise im tarifrechtlichen Sinne dar, da das Fahren selbst die Hauptpflicht ist, die aus dem Arbeitsvertrag resultiert. Es fehlt somit an der für eine Dienstreise erforderlichen Abgrenzung zwischen eigentlicher Arbeitsleistung und einer zusätzlichen, auswärtigen Tätigkeit.
Besonders bedeutsam ist hierbei der Aspekt der Gleichbehandlung. Der Kläger hatte geltend gemacht, andere Fahrer erhielten in vergleichbaren Fällen Tagegeld, sodass ihm dies aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls zustehe. Das Gericht verwarf diesen Einwand. Ein Anspruch aus dem sogenannten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz entsteht nur dann, wenn der Arbeitgeber eine freiwillige Leistung gewährt und diese ohne sachlichen Grund bestimmten Arbeitnehmern vorenthält. Wenn der Arbeitgeber – wie in diesem Fall – jedoch lediglich tarifliche Normen anwendet, besteht kein Raum für ein solches Gleichbehandlungsgebot. Selbst wenn in der Vergangenheit einzelne Zahlungen abweichend erfolgt sein sollten, begründet eine irrtümliche Anwendung tariflicher Regelungen keinen dauerhaften Anspruch anderer Arbeitnehmer.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber
Für Arbeitgeber ergibt sich aus dieser Entscheidung eine wichtige Klarstellung bei der Abrechnung von Reisekosten und bei der Gestaltung von Dienstreise- und Spesentabellen. Unternehmen, gleich ob im öffentlichen oder privaten Sektor, sollten prüfen, welche Tätigkeiten tatsächlich als Dienstreisen einzuordnen sind. Wird der Auftrag des Arbeitnehmers im Wesentlichen außerhalb einer festen Betriebsstätte ausgeführt, etwa bei Fahrern, Außendienstlern oder Zustellmitarbeitenden, handelt es sich in aller Regel um eine regelmäßige Tätigkeitsstätte. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer dort arbeitet, wo sich der Schwerpunkt seiner beruflichen Leistung befindet.
Für kleine und mittelständische Unternehmen, insbesondere solche mit häufig reisenden Mitarbeitenden – etwa Handwerksbetriebe, Pflegedienste oder Logistikunternehmen – ist es ratsam, interne Richtlinien für die Dienstreisendefinition festzulegen. Eine klare Dokumentation der Einsatzorte und Tätigkeiten schützt nicht nur vor Streitigkeiten, sondern ermöglicht auch eine rechtssichere Lohnabrechnung. Arbeitgeber sollten ihre Personalabteilungen und Buchhaltungen entsprechend sensibilisieren, um unberechtigte Tagegeldforderungen oder steuerlich fehlerhafte Reisekostenabrechnungen zu vermeiden. Auch bei der Anwendung von Tarifverträgen oder hausinternen Regelwerken empfiehlt sich eine genaue juristische Prüfung, um die Konformität mit geltendem Arbeits- und Steuerrecht sicherzustellen.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen verdeutlicht, dass die korrekte Abgrenzung zwischen Dienstreise und Haupttätigkeit für die sachgerechte Anwendung tariflicher und steuerlicher Vorschriften unerlässlich ist. Entscheidend bleibt, ob eine Tätigkeit vorübergehend außerhalb der regelmäßigen Arbeitsstätte ausgeübt wird oder ob sie integraler Bestandteil der arbeitsvertraglichen Leistung ist. Arbeitgeber sind gut beraten, ihre Reiserichtlinien und Vergütungsstrukturen regelmäßig zu überprüfen und dabei sowohl arbeitsrechtliche als auch steuerliche Implikationen zu berücksichtigen. Durch klare Regelungen lassen sich Konflikte vermeiden, und die betriebliche Abrechnungspraxis gewinnt an Sicherheit und Effizienz.
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