Das Bundesarbeitsgericht hat am 24. Juni 2025 (Az. 3 AZR 157/24) eine Entscheidung gefällt, die insbesondere für Unternehmen mit tarifgebundenen Versorgungsregelungen, Personalabteilungen und Steuerberatende von erheblicher Bedeutung ist. Sie betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf einen Aufstockungsbetrag zur Betriebsrente ruht, wenn der gesetzliche Rentenversicherungsträger die Rente wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ablehnt. Gerade für Arbeitgeber in der Logistik-, Post- und Dienstleistungsbranche, aber auch für Einrichtungen im Gesundheitswesen oder Pflegebetriebe mit eigenen Versorgungsmodellen, klärt die Entscheidung die Grenzen tariflicher Verpflichtungen zur Aufrechterhaltung gesetzlicher Rentenanwartschaften.
Rechtliche Grundlage und tariflicher Hintergrund der Entscheidung
Der zugrundeliegende Tarifvertrag zur Regelung des Besitzstandes aus der bisherigen VAP-Zusatzversorgung (TV BZV) enthält differenzierte Vorgaben für Rentenansprüche bei Postbeschäftigungsunfähigkeit. Danach besteht ein Anspruch auf einen sogenannten Aufstockungsbetrag zur Betriebsrente, solange keine Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen werden. Diese tarifvertragliche Leistung soll sicherstellen, dass Beschäftigte, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung aus dem Arbeitsleben ausscheiden, vorübergehend wirtschaftlich abgesichert bleiben, selbst wenn die gesetzliche Rente noch nicht greift. Der TV BZV verpflichtet jedoch zugleich die Begünstigten ausdrücklich dazu, freiwillige Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen, wenn ansonsten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine gesetzliche Rente entfallen würden. Unterbleibt diese Zahlung, greift der Ruhenstatbestand des § 5 Abs. 5 Buchstabe d TV BZV, wonach der Anspruch auf den Aufstockungsbetrag ruht, wenn die gesetzliche Rente aus versicherungsrechtlichen Gründen abgelehnt wird, weil die Betroffenen ihre Anwartschaft nicht aufrechterhalten haben.
Im entschiedenen Fall hatte die Klägerin trotz mehrfacher Hinweise und Aufforderungen ihres ehemaligen Arbeitgebers keine freiwilligen Beiträge gezahlt. Die Deutsche Rentenversicherung lehnte daraufhin eine Erwerbsminderungsrente ab, da die notwendigen Pflichtbeitragszeiten nicht erfüllt waren. Der Arbeitgeber stellte daraufhin die Zahlung des Aufstockungsbetrags ein. Die Klägerin argumentierte, die Tarifregelung sei zu streng und verstoße unter anderem gegen das Grundgesetz, weil sie wirtschaftlich benachteilige. Das Bundesarbeitsgericht sah dies anders und stellte klar, dass der Ruhenstatbestand unabhängig davon greift, ob die Rentenablehnung nur wegen fehlender Beiträge erfolgt oder auch andere Gründe hätte vorliegen können.
Auslegung der Norm und wesentliche rechtliche Erwägungen
Der 3. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Entscheidung maßgeblich aus dem Wortlaut und dem Regelungszweck des § 5 Abs. 5 Buchstabe d TV BZV entwickelt. Entscheidend sei, dass der Tarifvertrag keine fiktive Prüfung vorsehe, ob bei ordnungsgemäßer Beitragszahlung tatsächlich ein Rentenanspruch bestanden hätte. Bereits der ablehnende Rentenbescheid aus versicherungsrechtlichen Gründen reiche aus, um den Ruhenstatbestand auszulösen. Das Gericht betonte die Praktikabilität dieser Lösung: Arbeitgeber müssten nicht hypothetisch prüfen, ob bei geänderter Sachlage ein Rentenanspruch bestünde, sondern könnten sich auf die formale Entscheidung des Rentenversicherungsträgers stützen. Damit werde zugleich das Risiko vermieden, dass betriebliche Versorgungssysteme als Ersatz für mangelnde Mitwirkung der Arbeitnehmer herangezogen werden.
In seiner Begründung stellte das Gericht heraus, dass der Aufstockungsbetrag als subsidiäre Leistung zur gesetzlichen Rente konzipiert ist. Das bedeutet, dass die Leistung nur dann vorgesehen ist, wenn keine gesetzliche Rentenzahlung erfolgt, obwohl alle zumutbaren Maßnahmen zur Anspruchserhaltung unternommen wurden. Das BAG betonte, dass die Verpflichtung zur Zahlung freiwilliger Beiträge auch sachgerecht sei, um Missbrauch zu vermeiden. Eine teleologische Reduktion, also eine einschränkende Auslegung der Tarifnorm, lehnte das Gericht ab, da keine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliege. Zudem verstoße die Regelung nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, insbesondere nicht gegen die Berufsfreiheit oder Eigentumsgarantie, da keine bestehende Rechtsposition entzogen werde. Vielmehr habe die Arbeitnehmerin die vertraglichen Voraussetzungen für den Anspruch selbst nicht erfüllt.
Relevanz für Arbeitgeber und Personalverantwortliche in verschiedenen Branchen
Für Arbeitgeber in tarifgebundenen Branchen, insbesondere in der Logistik, im öffentlichen Dienst oder bei Postnachfolgeunternehmen, verdeutlicht das Urteil die Notwendigkeit einer konsequenten Umsetzung tariflicher Versorgungsverpflichtungen. Personalabteilungen und Lohnbuchhaltungen sollten sicherstellen, dass Mitarbeitende, die wegen Erwerbsunfähigkeit ausscheiden, rechtzeitig über ihre Pflicht zur Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft informiert werden. Für kleine und mittlere Unternehmen mit betrieblichen Zusatzversorgungen bietet die Entscheidung Orientierung, wie interne Versorgungssysteme sicher ausgestaltet werden können, damit sie nicht unbeabsichtigt zu unbefristeten finanziellen Verpflichtungen führen.
Auch für Pflegeeinrichtungen und soziale Träger mit eigener betrieblicher Altersversorgung spielt die Entscheidung eine Rolle. Diese Unternehmen geraten zunehmend in den Fokus arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten über Versorgungsansprüche, insbesondere dann, wenn tarifliche Bindungen an öffentlich-rechtliche oder ehemalige Staatsbetriebe bestehen. Durch klare interne Kommunikation und durch die Einbindung der steuerlichen Beratung kann das Risiko von Streitigkeiten über Renten- und Aufstockungsbeträge erheblich reduziert werden. Für Finanzdienstleister und Versicherungsunternehmen, die bei der Verwaltung betrieblicher Altersversorgungssysteme unterstützen, ist die Entscheidung ebenfalls von Relevanz, da sie die Abgrenzung zwischen gesetzlicher Rente und betrieblicher Zusatzleistung präzisiert. Damit schafft sie Rechtssicherheit bei der Bewertung von Leistungsverpflichtungen und Rückstellungen in der Bilanz.
In der Praxis empfiehlt es sich für Arbeitgeber, die Erfüllung der Voraussetzungen für Zusatzleistungen dokumentiert nachzuhalten und den Schriftverkehr mit Beschäftigten über ihre Verpflichtungen aufzubewahren. Steuerberatende sollten bei Mandanten mit betrieblicher Altersversorgung darauf achten, dass Ruhensregelungen in den Verträgen den Anforderungen des BAG entsprechen und nicht versehentlich aufgehoben werden, wenn interne Anpassungen vorgenommen werden. Besonders für Onlinehändler oder digitale Dienstleistungsunternehmen mit wachsenden Beschäftigtenzahlen können pauschale betriebliche Versorgungselemente ohne präzise Abgrenzung erhebliche finanzielle Risiken bergen. Die vorliegende Entscheidung schärft somit das Bewusstsein, betriebliche Versorgungswerke immer in enger Verzahnung mit den geltenden gesetzlichen Rentenstrukturen zu konzipieren.
Schlussfolgerungen und Ausblick für die betriebliche Praxis
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt deutlich, dass tarifvertragliche Pflichten zur Rentenanwartschaftsaufrechterhaltung verbindlich sind und eine konsequente Mitwirkung der Arbeitnehmer verlangen. Für Arbeitgeber schafft sie Erleichterung, da sie nicht verpflichtet sind, hypothetische Prüfungen über mögliche Rentenansprüche anzustellen. Für Beschäftigte bedeutet sie hingegen, dass sie bei Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aktiv dafür Sorge tragen müssen, ihre gesetzlichen Rentenansprüche durch freiwillige Beiträge zu sichern, wenn sie betriebliche Aufstockungsleistungen erhalten wollen. Damit stärkt das Gericht die Kohärenz zwischen gesetzlicher und betrieblicher Altersvorsorge.
Das Urteil liefert Unternehmen, Steuerberatenden und Finanzinstitutionen praxisrelevante Orientierung, wie Ruhens- und Anrechnungsvorschriften vertraglich und tariflich sauber umgesetzt werden können. Unsere Kanzlei unterstützt seit vielen Jahren kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Strukturierung betrieblicher Versorgungsmodelle und begleitet sie bei der digitalen Prozessoptimierung ihrer Buchhaltung. Durch die konsequente Digitalisierung betrieblicher Abläufe lassen sich erhebliche Effizienzsteigerungen und Kostenvorteile realisieren, die Unternehmen in allen Branchen nachhaltig entlasten.
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