Haftungsgrundlagen und Bedeutung des Begriffs „bei dem Betrieb“
Die Frage, wann ein Schaden „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ im Sinne des § 7 Absatz 1 Straßenverkehrsgesetzes entsteht, ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Sie entscheidet darüber, ob die Haftpflichtversicherung eines Fahrzeughalters für Personen- oder Sachschäden einstehen muss. Das Oberlandesgericht Oldenburg hatte nun über einen ungewöhnlichen Sachverhalt zu entscheiden, der zeigt, wie weit der Begriff der Betriebsgefahr auszulegen ist. Ein fliegender Fasan hatte den Sozius eines Motorrads am Helm getroffen und zu einem schweren Unfall geführt. In der Vorinstanz war die Klage noch abgewiesen worden, weil das Landgericht Osnabrück keine vom Motorrad ausgehende Gefahr als ursächlich angesehen hatte. Das Oberlandesgericht hingegen stellte klar, dass der Unfall unmittelbar mit dem Betrieb des Motorrads zusammenhing.
Der Kläger befand sich als Soziusfahrer auf einem in voller Fahrt befindlichen Motorrad. Dass sich der Unfall gerade in dieser Bewegungssituation ereignete, war aus Sicht des Gerichts entscheidend. Die fortgesetzte Vorwärtsbewegung des Motorrads führte dazu, dass aus einer eigentlich alltäglichen Begegnung mit einem Tier eine erhebliche Gefahrenlage entstand. Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h wirkten Kräfte, die das Zusammenprallen mit einem leichten Tierkörper zu einem ernsthaften Risiko werden ließen. Das Gericht wertete dies als typische Ausprägung der Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs, die bereits dann vorliegt, wenn sich eine durch die Eigenart des Fahrbetriebs bedingte Gefahr realisiert.
Abgrenzung zu höherer Gewalt und Verantwortung des Fahrzeughalters
Bemerkenswert ist die Abgrenzung, die das Gericht in seinem Urteil vornimmt. Nach § 7 Absatz 2 Straßenverkehrsgesetz entfällt die Haftung des Fahrzeughalters, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde. Höhere Gewalt liegt nur vor, wenn ein von außen kommendes, außergewöhnliches und unabwendbares Ereignis den Schaden herbeiführt. Das Oberlandesgericht verneinte jedoch einen solchen Ausnahmefall. Es argumentierte, dass Wildunfälle im Straßenverkehr, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht zu den unvorhersehbaren Phänomenen zählen. Es handele sich um ein typisches Risiko, das zum Straßenverkehr gehört und somit der allgemeinen Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzurechnen ist.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Halter und Versicherer nicht allein aufgrund einer zufälligen oder externen Einwirkung von der Haftung befreit werden. Vielmehr kommt es auf die konkrete Verbindung zwischen Schaden und Fahrbetrieb an. Gerade Motorradfahrerinnen und -fahrer, aber auch Halter von Firmenfahrzeugen im gewerblichen Bereich, sollten sich bewusst machen, dass schon geringfügige äußere Einwirkungen – etwa Tiere, Gegenstände oder Windböen – die Betriebsgefahr auslösen können, wenn sie sich in einer Fahrsituation typischerweise verwirklichen. Für Fuhrparkbetreiber und Versicherungsnehmende bedeutet dies, dass eine sorgfältige Risikoeinschätzung und gegebenenfalls eine Überprüfung des Versicherungsschutzes unverzichtbar sind.
Bewertung des Mitverschuldens und Bedeutung für die Praxis
Das Gericht nahm zudem zur Frage des Mitverschuldens Stellung. Trotz fehlender Schutzkleidung lehnte das Oberlandesgericht eine Kürzung des Schmerzensgeldes wegen Mitverschuldens ab. Für die Beifahrerin oder den Beifahrer auf einem Motorrad könne eine fehlende Schutzkleidung nicht ohne weiteres als schuldhaftes Verhalten gewertet werden. Dies unterscheidet sich von der Situation des Fahrzeugführers, bei dem ein bewusster Verzicht auf Schutzbekleidung regelmäßig eine Mithaftung begründen kann.
In der Praxis ist dieses Urteil von Bedeutung, weil es die Haftungsreichweite der Betriebsgefahr konkretisiert und zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Schaden und Nutzung des Fahrzeugs weit gefasst ist. Unternehmen, die Dienstfahrzeuge einsetzen oder ihren Mitarbeitenden Motorräder, Transporter oder Lkw bereitstellen, sollten die Entscheidung als Anlass nehmen, ihre internen Sicherheitsrichtlinien zu überprüfen. Besonders im gewerblichen Umfeld, etwa bei Logistikunternehmen, Lieferdiensten oder Pflegediensten mit mobilen Einsatzkräften, können vergleichbare Situationen auftreten, in denen äußere Umstände einen Unfall verursachen, der dennoch betrieblich bedingt ist.
Fazit und Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg (Aktenzeichen 5 U 30/25 vom 24. September 2025) zeigt exemplarisch, dass die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs weit auszulegen ist. Maßgeblich ist nicht, ob das Fahrzeug direkt mit einem anderen Objekt kollidiert, sondern ob sich im Geschehen die durch den Betrieb hervorgerufene Gefahr realisiert. Damit werden die Pflichten und Risiken von Haltern nochmals geschärft, insbesondere wenn betriebliche Nutzung oder Arbeitnehmerbeteiligung vorliegen. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen eröffnet die Entscheidung die Möglichkeit, bestehende Prozesse im Risikomanagement und im Versicherungswesen kritisch zu prüfen. Wichtig ist, die Zuständigkeiten im Schadensfall klar zu regeln und auf eine ausreichende Dokumentation von Fahrten und Unfallumständen zu achten, um im Ernstfall die Haftungsfrage eindeutig klären zu können.
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