Elektronischer Rechtsverkehr als Pflicht für alle zugelassenen Anwältinnen und Anwälte
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat mit Gerichtsbescheid vom 16. September 2025 (Az. 3 K 3179/24) entschieden, dass ein zugelassener Rechtsanwalt, selbst wenn er nur noch eingeschränkt tätig ist oder in eigener Sache klagt, verpflichtet bleibt, das besondere elektronische Anwaltspostfach zu nutzen. Diese Entscheidung verdeutlicht die Reichweite des § 52d Finanzgerichtsordnung, der die elektronische Übermittlung von Dokumenten für professionelle Verfahrensbeteiligte wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verbindlich vorschreibt. Das Gericht stellte klar, dass diese Pflicht statusbezogen ist, das heißt, sie ergibt sich allein aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und nicht aus der konkreten Rolle im Verfahren.
Der konkrete Fall betraf einen 71-jährigen Rechtsanwalt, der seine anwaltliche Tätigkeit weitgehend zurückgefahren hatte und sich gegen mehrere Grundsteuerwertbescheide wehrte. Seine Klage reichte er per Post ein, ohne den elektronischen Übermittlungsweg zu nutzen. Erst später stellte das Gericht fest, dass der Kläger im Anwaltsverzeichnis eingetragen ist. Der Versuch, den Verstoß durch nachträgliche Übersendung der Dokumente über andere Kommunikationswege zu heilen, blieb erfolglos. Das Gericht wies die Klage als unzulässig ab, da der gesetzlich vorgeschriebene elektronische Weg nicht eingehalten wurde.
Statusbezogene Pflicht zur digitalen Einreichung
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Auslegung des § 52d Finanzgerichtsordnung. Danach sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verpflichtet, Dokumente elektronisch zu übermitteln, und zwar unabhängig davon, ob sie in eigener Sache oder für Mandanten handeln. Diese sogenannte statusbezogene Auslegung wird von einem Großteil der Literatur und auch von der bisherigen Rechtsprechung anderer Finanzgerichte gestützt. Bereits der Bundesgerichtshof hatte in Bezug auf die parallele Vorschrift des § 130d Zivilprozessordnung entschieden, dass der Status als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt stets die Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs begründet. Entscheidend sei allein, dass der Schriftsatz formbedürftig ist und von einer Person mit anwaltlicher Zulassung eingereicht wird.
Demgegenüber vertreten einige Gerichte eine rollenbezogene Auslegung, nach der die Pflicht nur dann gelte, wenn die Person ausdrücklich als Vertreterin oder Vertreter in anwaltlicher Funktion auftritt. Diese Sichtweise wurde jedoch durch das Finanzgericht Berlin-Brandenburg abgelehnt. Der Zweck des Gesetzes, nämlich eine vollständige Digitalisierung des Rechtsverkehrs und die Vereinheitlichung der Kommunikationswege mit den Gerichten, würde andernfalls unterlaufen. Die Beurteilung des Gerichts ist auch deshalb praxisrelevant, weil sie eine klare Linie für den Umgang mit ähnlich gelagerten Fällen vorgibt und Berufsangehörigen die Grenzen der Auslegung aufzeigt.
Keine Ausnahmen wegen Alter oder technischer Überforderung
Das Gericht stellte zudem deutlich heraus, dass persönliche Umstände wie hohes Alter oder eine nur noch eingeschränkte berufliche Tätigkeit kein Grund sind, die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Postfachs zu umgehen. Nach § 31a Absatz 6 Bundesrechtsanwaltsordnung trifft alle zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die Pflicht, die technische Infrastruktur für den elektronischen Rechtsverkehr vorzuhalten und sich mit deren Nutzung vertraut zu machen. Diese Verpflichtung besteht unabhängig vom Umfang der Berufsausübung oder individuellen technischen Fähigkeiten.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Aspekt der Zumutbarkeit. Der Kläger argumentierte, dass er als Privatperson handelte und die Nutzung des elektronischen Systems nicht beherrschen könne. Das Gericht lehnte diesen Einwand ab: Die Zumutbarkeit sei im Rahmen der berufsrechtlichen Pflichten zu prüfen, die jede zugelassene Anwältin und jeder zugelassene Anwalt mit seiner Zulassung akzeptiere. Ein Rechtsirrtum über den Umfang der beA-Pflicht sei nicht unverschuldet, insbesondere, wenn einschlägige Gerichtsentscheidungen zur gleichen Rechtsfrage bereits vorlägen. Das Finanzgericht verwies darauf, dass es bereits in früheren Verfahren dieselbe Auslegung vertreten habe, weshalb von einem erfahrenen Berufsträger verlangt werden könne, diese Rechtsprechung zu kennen.
Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass es keine Ausnahmeregelungen für technikferne oder im Ruhestand befindliche Berufsträger gibt. Auch für Kanzleien mit älteren Sozien oder freiberuflich weiterarbeitenden Anwältinnen und Anwälten zeigt das Urteil, dass die technische Bereitschaft zur elektronischen Kommunikation zwingend aufrechterhalten werden muss. Ein Versäumnis kann nicht nur Verfahrensrechte kosten, sondern auch berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Konsequenzen und Handlungsempfehlungen für die Praxis
Selbst wenn die finale Klärung durch den Bundesfinanzhof noch aussteht, stärkt die Entscheidung den Trend hin zu einer durchgängig digitalen Verfahrensabwicklung. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die noch gelegentlich Verfahren in eigener Sache führen, gilt es daher, den Zugang zum Postfach funktionsfähig zu halten und regelmäßig auf Aktualität zu prüfen. Auch kleinere und mittlere Kanzleien, die Digitalisierung bislang nur punktuell umgesetzt haben, sind gut beraten, ihre elektronischen Kommunikationsstrukturen umfassend zu überprüfen und gegebenenfalls zu modernisieren.
Die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg macht deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs keine fakultative Option geschaffen hat, sondern eine bindende Verpflichtung. Sie dient der Rechtssicherheit und Effizienz der Justiz, vermeidet Medienbrüche und reduziert den Verwaltungsaufwand auf beiden Seiten. Für die juristische Praxis bedeutet dies zugleich einen Anreiz, interne Abläufe zu standardisieren und die Dokumentation digital bereitzustellen. Auch wenn der konkrete Fall aus dem anwaltlichen Berufsrecht stammt, lassen sich die Grundgedanken auf andere regulierte Berufsfelder übertragen – beispielsweise für Steuerberaterinnen und Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensjuristen, die über eigene digitale Postfächer verfügen müssen.
Gerade im Mittelstand eröffnet die konsequente Nutzung digitaler Kommunikationswege Chancen für mehr Effizienz und Transparenz in Verwaltungsprozessen. Der Fall zeigt exemplarisch, dass Digitalisierung nicht nur technische, sondern auch rechtliche Verantwortung bedeutet. Sie ist untrennbar mit der Berufsausübung und der Aufrechterhaltung der fachlichen Standards verbunden. In der Praxis ist es daher ein Gebot der Sorgfalt, digitale Infrastrukturen regelmäßig zu prüfen und verantwortungsvoll zu betreiben. Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittlere Unternehmen bei der Prozessoptimierung ihrer Buchhaltung und der Digitalisierung betrieblicher Abläufe. Durch strukturierte Digitalisierungskonzepte zeigen wir Wege auf, wie sich Effizienz, Rechtskonformität und Kosteneinsparung nachhaltig verbinden lassen.
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