Neue Perspektiven für Altgesellen im Handwerk
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit seinen Entscheidungen vom 7. Oktober 2025 (Az. 6 A 10529/25.OVG und 6 A 10586/25.OVG) eine rechtspolitisch bedeutsame Klarstellung zur Ausübungsberechtigung nach § 7b der Handwerksordnung getroffen. Der Paragraph erlaubt erfahrenen Handwerkern ohne Meistertitel, ein zulassungspflichtiges Handwerk selbstständig auszuüben, wenn sie bestimmte Qualifikationsanforderungen erfüllen. Damit stärkt das Gericht insbesondere kleine und familiengeführte Betriebe, die mit der Nachfolgeplanung in Meisterbetrieben vor praktischen Herausforderungen stehen.
Gegenstand der Verfahren waren zwei Altgesellen, die in den väterlichen Betrieben – einem Maler- und Lackierunternehmen sowie einem Steinmetz- und Steinbildhauerbetrieb – über viele Jahre tätig waren. Trotz jahrzehntelanger Berufserfahrung hatte die Handwerkskammer Koblenz beiden die Ausübungsberechtigung verweigert, da die Betriebsleitung formal weiterhin bei den Vätern als Handwerksmeistern lag. Die Kammer unterstellte, dass hier ein unzulässiges Konstrukt zur Umgehung des Meistererfordernisses geschaffen worden sei. Das Verwaltungsgericht Koblenz bestätigte zunächst die ablehnenden Entscheidungen. Erst die Berufung führte zu einer umfassenden Neubewertung der handwerksrechtlichen Voraussetzungen.
Die rechtliche Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht
Nach § 7b Absatz 1 der Handwerksordnung ist eine Ausübungsberechtigung zu erteilen, wenn ein Handwerker über mehrere Jahre hinweg in leitender Stellung in dem betreffenden Handwerk tätig war. Als „leitende Stellung“ wird eine Position verstanden, in der eigenverantwortliche Entscheidungen über wesentliche fachliche und organisatorische Fragen des Betriebs zu treffen sind. Das Gericht stellte klar, dass weder die Betriebsgröße noch die Rechtsform oder familiäre Bindungen eine Rolle für die Bewertung spielen dürfen. Wesentlich sei allein, dass die betroffene Person tatsächlich über einen längeren Zeitraum hinweg eigenverantwortlich die handwerklichen Abläufe gesteuert und mitverantwortet habe.
Die Altgesellen hatten unstrittig mehr als zwanzig Jahre praktische Berufserfahrung und jeweils über vier Jahre in Leitungsfunktion gearbeitet. Damit erfüllten sie die Voraussetzungen des § 7b in vollem Umfang. Selbst in kleineren Betrieben, so das Gericht, kann eine leitende Tätigkeit ausgeübt werden, sofern die fachliche und organisatorische Verantwortung im Arbeitsalltag tatsächlich wahrgenommen wird. Diese Auslegung verhindert, dass der Zugang zur selbstständigen Tätigkeit allein durch betriebliche Strukturen oder familiäre Konstellationen beschränkt wird.
Praktische Auswirkungen auf Handwerksbetriebe und Nachfolgeregelungen
Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die betriebliche Praxis vieler Handwerksunternehmen, insbesondere im ländlichen Raum. Dort wird die Unternehmensnachfolge häufig innerhalb der Familie angestrebt. Nicht jeder Sohn oder jede Tochter verfügt über die zeitlichen oder finanziellen Ressourcen, um die Meisterprüfung abzulegen. Die OVG-Urteile verdeutlichen, dass ein langjährig erfahrener Altgeselle mit nachgewiesener Leitungserfahrung auch ohne Meisterbrief eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit erhält, den Betrieb fortzuführen. Dies reduziert die Gefahr, dass Betriebe nach einem Generationswechsel stillgelegt werden müssen, nur weil der Nachfolger keine Meisterprüfung abgelegt hat.
Auch Kammern und Aufsichtsbehörden werden künftig stärker gefordert sein, individuelle Berufslaufbahnen im Einzelfall zu prüfen, statt sich auf formale Strukturen zu stützen. Für kleine Handwerksbetriebe eröffnet sich die Chance, den Fortbestand zu sichern, ohne gegen das Gebot der fachlichen Qualifikation zu verstoßen. Durch die nun gefestigte Möglichkeit der Berufsausübungsberechtigung entsteht außerdem eine größere Flexibilität für Familienbetriebe im Handwerk, die auf die Weitergabe von Erfahrung und handwerklicher Kompetenz angewiesen sind.
Für mittelständische Unternehmen, die Ausgründungen oder Filialisierungen planen, kann diese Rechtsprechung ebenfalls von Bedeutung sein. Sie ermöglicht, qualifizierte Fachkräfte ohne Meistertitel in verantwortungsvollen Positionen zu beschäftigen, die später eigenständig tätig werden können. Dadurch wird der Fachkräftemangel im Handwerk zumindest teilweise abgemildert, da erfahrungsbasierte Qualifikationen aufgewertet werden und bürokratische Hürden gesenkt werden.
Fazit: Stärkung von Erfahrung und Praxisnähe im Handwerk
Mit der aktuellen Entscheidung betont das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die Bedeutung praktischer Berufserfahrung und gelebter Verantwortung im Handwerk. Die Ausübungsberechtigung nach § 7b der Handwerksordnung ist somit ein effektives Instrument, um qualifizierte Fachkräfte in die Selbstständigkeit zu begleiten und den Generationswechsel in Handwerksbetrieben zu erleichtern. Der Meistertitel bleibt zwar weiterhin das zentrale Qualitätssiegel im Handwerk, wird aber durch die Ausübungsberechtigung sinnvoll ergänzt. Für kleine und mittelständische Handwerksunternehmen schafft diese Rechtsprechung größere Planungssicherheit und eröffnet neue Wege nachhaltiger Unternehmensnachfolge.
Unsere Kanzlei begleitet Unternehmen bei der rechtssicheren Gestaltung von Nachfolgeprozessen, der Digitalisierung betrieblicher Abläufe und der Optimierung buchhalterischer Prozesse. Wir unterstützen kleine und mittelständische Betriebe dabei, ihre Strukturen effizient zu gestalten und durch digitale Lösungen erhebliche Kostenersparnisse zu realisieren. Die Kombination aus rechtlicher Expertise und Prozessoptimierung macht uns zum verlässlichen Partner für die Zukunft Ihres Unternehmens.
Gerichtsentscheidung lesen