Neue Maßstäbe für Transparenz bei Wirtschaftsprüfern
Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Dezember 2025 (Az. III ZR 438/23) wurde ein zentrales Thema im Spannungsfeld zwischen Berufsgeheimnis, Auftraggeberrechten und insolvenzrechtlicher Aufklärungspflicht neu beleuchtet. Der BGH hat entschieden, dass Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verpflichtet sein können, einem Insolvenzverwalter Auskunft über den Inhalt ihrer Handakten zu erteilen und Einsicht in diese zu gewähren. Grundlage dieser Entscheidung ist die Verpflichtung des Beauftragten nach § 666 Bürgerliches Gesetzbuch, dem Auftraggeber die erforderlichen Informationen bereitzustellen und Rechenschaft über den Stand und die Ergebnisse seiner Tätigkeit abzulegen. Diese Pflicht gilt auch im Kontext der Insolvenz, wobei nach § 80 Insolvenzordnung die Verfügungs- und Verwaltungsrechte des Schuldners auf den Insolvenzverwalter übergehen und somit auch dessen Anspruch auf Auskünfte umfasst sind.
Der Entscheidung lag der Fall der insolventen Wirecard-Gesellschaften zugrunde. Der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter verlangte von der langjährigen Abschlussprüferin Einsicht in deren Handakten, um Unregelmäßigkeiten in der Bilanzierung und den Prüfungsprozess nachvollziehen zu können. Der BGH bestätigte weitgehend das Recht des Insolvenzverwalters auf diese Einsicht, was künftig erhebliche Auswirkungen auf die Prüfungs- und Dokumentationspraxis von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben dürfte.
Juristische Kernaussagen und praktische Tragweite
Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, in welchem Umfang Handakten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dem Auftraggeber zugänglich gemacht werden müssen. Der BGH stellte klar, dass § 666 Bürgerliches Gesetzbuch grundsätzlich auch auf den Prüfungsvertrag zwischen einer Gesellschaft und ihrer Abschlussprüferin anwendbar ist. Entgegen der Auffassung mancher Stimmen bestehe kein Vorrang spezieller berufsrechtlicher Regelungen, die eine Auskunftspflicht ausschließen würden. Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies, dass ihm als Rechtsnachfolger des Unternehmens sämtliche Auskunftsrechte zustehen, soweit diese dem Zweck der Insolvenzaufklärung dienen. Ausgenommen sind lediglich Unterlagen, die interne, persönliche Einschätzungen oder Arbeitsnotizen des Prüfers enthalten, wenn diese nachweislich lediglich der innerbetrieblichen Willensbildung dienen.
Bemerkenswert ist zudem die Argumentation des Gerichts zur Verjährungsfrage. Während der Insolvenzverwalter für die Geschäftsjahre ab 2016 Einsicht und Auskunft verlangen konnte, verneinte der BGH den Anspruch für die älteren Prüfungen der Jahre 2014 und 2015, da diese Forderungen bereits verjährt waren. Diese Differenzierung unterstreicht die Bedeutung einer zeitnahen Geltendmachung solcher Ansprüche. Gerade für Insolvenzverwalter ergibt sich hieraus eine Handlungsaufforderung, frühzeitig die relevanten Informationen anzufordern, um Beweisverluste zu vermeiden. Für kleine und mittelständische Unternehmen, die als ehemalige Mandanten oder Gläubiger betroffen sein können, ist die Entscheidung ein Signal, dass Prüfertätigkeiten künftig transparenter nachvollzogen werden können.
Bedeutung für Unternehmen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften
Das Urteil schafft eine neue rechtliche Klarheit über die Grenzen und Pflichten im Umgang mit Handakten. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften müssen künftig davon ausgehen, dass ihre Arbeitsergebnisse im Insolvenzfall des Mandanten einer umfassenderen Prüfung zugänglich werden können. Dies betrifft nicht nur Großkonzerne, sondern auch mittelständische Mandate, deren Prüfungen oftmals über Jahre fortlaufend dokumentiert werden. Die Verpflichtung zur Aktenaufbewahrung, die sich aus § 51b der Wirtschaftsprüferordnung ergibt, bleibt hiervon unberührt, erhält aber eine zusätzliche Dimension: Das Risiko, dass ein Insolvenzverwalter später Einsicht verlangt, steigt.
Für Unternehmen bedeutet die Entscheidung zugleich eine Stärkung der Rechtssicherheit. Geschäftsführende und Finanzverantwortliche können sich darauf berufen, dass wesentliche Informationen zur Abwicklung der Insolvenzverfahren verfügbar bleiben. Gerade in Branchen mit komplexen Prüfungsstrukturen – etwa im Gesundheitswesen, bei Pflegeeinrichtungen oder in der IT-Branche – ist diese Transparenz unverzichtbar, um finanzielle Fehlentwicklungen im Nachhinein aufzuarbeiten. Auch Onlinehändler und andere technologieorientierte Unternehmen profitieren mittelbar, da eine lückenlose Dokumentation der Prüfungs- und Kontrollprozesse die Risiken in der Unternehmenssteuerung verringert.
Fazit und Implikationen für die Praxis
Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung die Auskunftsrechte von Insolvenzverwaltern gegenüber Wirtschaftsprüfungsgesellschaften konsequent gestärkt. Damit wurde ein Gleichgewicht zwischen Transparenz, Gläubigerschutz und Prüfungsgeheimnis geschaffen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Prüfer ihre Dokumentation künftig differenzierter strukturieren und die Abgrenzung zwischen internen Arbeitspapieren und auskunftspflichtigen Unterlagen klar kennzeichnen sollten. Auf Unternehmensebene empfiehlt sich eine intensive Abstimmung mit den beauftragten Prüfern, um bei einer möglichen Insolvenz rechtzeitig auf die entscheidungsrelevanten Unterlagen zugreifen zu können.
Insgesamt fördert das Urteil die Nachvollziehbarkeit betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprozesse und stärkt die Integrität der Unternehmensprüfung. Für kleine und mittelständische Unternehmen ergibt sich daraus ein deutlicher Anreiz, die internen Buchhaltungs- und Prüfprozesse frühzeitig zu digitalisieren und strukturiert zu dokumentieren. Unsere Kanzlei unterstützt Unternehmen dabei, diese Anforderungen praxisnah umzusetzen. Mit unserer Spezialisierung auf die Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Buchhaltung helfen wir kleinen und mittleren Betrieben, nicht nur rechtssicher, sondern auch kosteneffizient zu arbeiten – und so aus den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen einen echten Wettbewerbsvorteil zu ziehen.
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