Die rechtliche Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung bleibt eine der zentralen Fragen des deutschen Arbeitsrechts. Das Bundesarbeitsgericht hatte am 3. Dezember 2025 (Az. 9 AZB 18/25) Gelegenheit, diese Abgrenzung im besonderen Kontext des professionellen Sports zu konkretisieren. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob ein Schiedsrichter-Assistent der 3. Fußball-Liga als Arbeitnehmer der DFB Schiri GmbH anzusehen ist. Diese Entscheidung hat weitreichende Bedeutung – nicht nur für den Sport, sondern auch für andere Branchen, in denen projektbasierte Zusammenarbeit, Honorartätigkeit oder Freelancer-Strukturen prägend sind.
Selbstständiger Schiedsrichter – rechtlicher Hintergrund und Einordnung
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Klage eines Schiedsrichters, der geltend machte, bei einer Bewerbung für die 3. Liga diskriminiert worden zu sein. Grundlage seiner Ansprüche war das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Entscheidend war deshalb, ob er im Rahmen eines möglichen Arbeitsverhältnisses oder auf selbstständiger Basis tätig geworden wäre. Nach den Regelungen der Schiedsrichterordnung des Deutschen Fußball-Bundes werden Schiedsrichter und ihre Assistenten für Spieleinsätze jeweils einzeln nominiert und erhalten ausschließlich eine Einsatzvergütung. Eine Verpflichtung zur Übernahme bestimmter Termine oder ein Anspruch auf dauerhafte Beschäftigung besteht nicht. Das Bundesarbeitsgericht knüpfte seine Entscheidung an den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff des § 611a Bürgerliches Gesetzbuch an. Danach ist Arbeitnehmer, wer in persönlicher Abhängigkeit weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit leistet. Wesentliche Prüfmaßstäbe sind die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die Reichweite des Weisungsrechts des Auftraggebers.
Auf dieser Grundlage stellte das Gericht fest, dass der Schiedsrichter-Assistent weder einem arbeitnehmertypischen Direktionsrecht unterliegt noch organisatorisch in die Strukturen der DFB Schiri GmbH eingegliedert ist. Der Assistent entscheidet frei, welche Spieltage er übernehmen möchte, kann Angebote ablehnen und ist nicht verpflichtet, eine Mindestzahl an Einsätzen zu gewährleisten. Auch Lehrgänge und Schulungen, die der sportlichen und fachlichen Qualitätssicherung dienen, begründen keine abhängige Beschäftigung, da sie nicht Ausdruck eines persönlichen Weisungsrechts, sondern einer beruflichen Standardisierung sind.
Rechtliche Bewertung und Begründung des Bundesarbeitsgerichts
Die Richterinnen und Richter des 9. Senats stellten in erfreulich klarer Weise heraus, dass nicht jede organisatorische Einbindung automatisch zu einer persönlichen Abhängigkeit führt. Die Beklagte, die DFB Schiri GmbH, habe keine einseitige Steuerungsmacht über Einsätze, Ort und Zeit der Tätigkeit ihrer Schiedsrichter-Assistenten. Der Vertrag sehe weder eine Arbeitspflicht noch eine Anspruchsgrundlage für Einsätze vor; das Verhältnis beruht allein auf dem Konsens über einzelne Spiele. Entscheidend sei die Freiheit der Entscheidung und die fehlende Verpflichtung zur fortlaufenden Tätigkeit. Selbst strukturelle Monopolpositionen, wie sie der DFB im professionellen Fußball innehat, begründen keine persönliche Weisungsgebundenheit im arbeitsrechtlichen Sinn.
Das Bundesarbeitsgericht nahm außerdem zur Abgrenzung zwischen sachbezogenem und personenbezogenem Weisungsrecht Stellung. Die Anweisungen im Rahmen des Regelwerks beträfen den sachlichen Ablauf des Spiels, nicht aber die persönliche Arbeitsweise oder das Verhalten des Schiedsrichters. Die faktische Unabhängigkeit, mit der während des Spiels Entscheidungen getroffen werden, unterstreiche die Selbstständigkeit. Diese Rechtsauffassung ist auch für zahlreiche andere Tätigkeitsfelder relevant: etwa für Berater, Pflegekräfte oder IT-Fachkräfte, die projektbezogen, aber mit funktionaler Integration in größere Strukturen tätig sind.
Schließlich stellte das Gericht klar, dass wirtschaftliche Abhängigkeit – selbst wenn sie faktisch besteht – nicht genügt, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen. Maßgeblich bleibt der rechtlich-inhaltliche Grad persönlicher Weisungsgebundenheit. Nur wer tatsächlich in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden ist und keine wesentlichen Entscheidungen über Zeit, Ort und Art seiner Leistung treffen kann, gilt als Arbeitnehmer.
Relevanz für Unternehmen und Praxishinweise für verschiedene Branchen
Die Entscheidung bietet wertvolle Orientierung, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die regelmäßig mit freien Mitarbeitenden oder Subunternehmern zusammenarbeiten. Sie macht deutlich, dass die vertragliche Bezeichnung allein nicht ausschlaggebend ist, sondern die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses. Für Onlinehändler, Pflegeeinrichtungen oder Dienstleistungsbetriebe, die auf flexible Einsatzstrukturen setzen, verdeutlicht die Rechtsprechung, wie eine rechtssichere Gestaltung von Honorarverträgen aussehen kann. So sollten Verträge stets den freien Entscheidungsspielraum der Auftragnehmenden dokumentieren, insbesondere im Hinblick auf Annahme und Umfang einzelner Aufträge.
Auch für Steuerberatungen, die Mandanten bei der Lohnsteuer- oder Sozialversicherungsbeurteilung unterstützen, ist das Urteil praxisrelevant. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, dass die Einordnung einer Tätigkeit als selbstständig oder abhängig nicht schematisch erfolgen darf. Entscheidend ist, ob eine faktische Eingliederung und persönliche Weisungsunterworfenheit vorliegt. Unternehmen sollten daher regelmäßig prüfen, ob die faktische Zusammenarbeit den Vereinbarungen entspricht, um Nachforderungen bei Sozialversicherungsbeiträgen zu vermeiden. Gerade im Zuge von Digitalisierung und Outsourcing steigt die Zahl der Tätigkeiten, bei denen eine Abgrenzung erforderlich ist. Die BAG-Entscheidung liefert hier belastbare Leitlinien, wie die Gesamtbetrachtung des Tätigkeitsprofils vorzunehmen ist.
Für Sportverbände und gemeinnützige Organisationen eröffnet das Urteil zudem Rechtssicherheit: Freiwillige, Ehrenamtliche oder zeitweise eingesetzte Fachkräfte geraten nur dann in ein Arbeitsverhältnis, wenn eine tatsächliche Pflicht zur fortlaufenden Tätigkeit besteht und die Organisation Weisungen in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht erteilen kann. Das gilt selbst dann, wenn der Auftraggeber organisatorische Strukturen bereitstellt oder die Zusammenarbeit auf Dauer angelegt ist.
Schlussfolgerungen und Bedeutung für die Praxis
Mit der Entscheidung vom 3. Dezember 2025 stärkt das Bundesarbeitsgericht die Klarheit bei der rechtlichen Einstufung von projektbezogenen Tätigkeiten. Sie betont, dass Selbstständigkeit auch innerhalb komplexer organisatorischer Rahmenbedingungen möglich bleibt. Das Urteil mahnt zugleich zur sorgfältigen Vertragsgestaltung und zur dokumentierten Wahrung unternehmerischer Entscheidungsfreiheit auf Seiten der Auftragnehmenden. Unternehmen jeder Größe – insbesondere im digitalen Mittelstand – profitieren von einem präzisen Verständnis dieses Grundsatzes, der direkte Auswirkungen auf Haftung, Steuerpflicht und Sozialversicherung hat.
Unsere Kanzlei begleitet kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Gestaltung solcher Beschäftigungsmodelle. Wir sind spezialisiert auf Prozessoptimierung in der Buchhaltung sowie auf digitale Lösungen, die nachhaltige Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen ermöglichen. Durch unsere Erfahrung in der Digitalisierung betrieblicher Abläufe schaffen wir die Grundlage für rechtssichere und wirtschaftlich sinnvolle Personalstrukturen.
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