BFH bestätigt Nacherhebung von Antidumpingzöllen – rechtlicher Hintergrund
Der Bundesfinanzhof hat mit seiner Entscheidung vom 8. April 2025 (Az. VII R 27/23) klargestellt, dass eine Nacherhebung von Antidumpingzöllen auch dann möglich bleibt, wenn die zugrunde liegende EU-Antidumpingmaßnahme zwischenzeitlich aufgehoben wurde. Damit folgt das Gericht der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 4. Oktober 2024 – C‑412/22, Autoridade Tributária e Aduaneira), die eindeutig festhält, dass die Aufhebung einer Antidumpingverordnung keine Rückwirkung entfaltet. Diese Grundsatzentscheidung stellt für Importunternehmen, Spediteure, Onlinehändler und auch für verarbeitende Betriebe von erheblicher Bedeutung dar, da sie Rechtssicherheit im Umgang mit bereits eingeleiteten Zollverfahren schafft.
Gegenstand des Verfahrens war die Einfuhr von Verbindungselementen aus Eisen oder Stahl, die zunächst als Ursprungsware Malaysias deklariert worden waren. Nach Ermittlungen des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) stellte sich jedoch heraus, dass die betroffenen Waren tatsächlich aus China stammten und lediglich zum Zweck der Umgehung des Antidumpingzolls über Malaysia eingeführt worden waren. Das Hauptzollamt hatte daraufhin Jahre nach der ursprünglichen Einfuhr in Anwendung von Artikel 220 und 221 des Zollkodex und § 169 der Abgabenordnung einen zusätzlichen Antidumpingzoll festgesetzt. Das Finanzgericht Hamburg hatte diese Nacherhebung aufgehoben, da die zugrunde liegende EU‑Verordnung (EG Nr. 91/2009) durch die Durchführungsverordnung (EU) 2016/278 aufgehoben worden war. Der Bundesfinanzhof hob dieses Urteil nun auf und stellte klar, dass die Aufhebung keine Auswirkungen auf während der Geltung der alten Regelung entstandene Zollschulden hat.
Rechtliche Einordnung und Begründung der Entscheidung
Der Bundesfinanzhof folgt ausdrücklich der Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach die Aufhebung einer Antidumpingmaßnahme nur Wirkung für die Zukunft (ex nunc) entfaltet. Die Entstehung einer Zollschuld richtet sich nach Artikel 201 Absatz 2 des Zollkodex und tritt bereits mit der Annahme der Zollanmeldung ein. Damit bleibt eine nachträgliche Festsetzung auch nach Aufhebung der Maßnahme zulässig, sofern der zugrunde liegende Import während der Geltung der alten Verordnung erfolgte.
Entscheidend ist, dass der Gerichtshof betonte, eine rückwirkende Ungültigkeit der aufgehobenen Verordnung würde den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzen und zu einer ungleichen Behandlung vergleichbarer Wirtschaftsteilnehmer führen. Würde die Nacherhebung nur deshalb unterbleiben, weil die Aufhebungsverordnung inzwischen in Kraft getreten ist, hinge die Abgabepflicht allein davon ab, wann die Zollprüfung abgeschlossen wurde. Eine solche Zufälligkeit widerspräche sowohl dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch dem Effektivitätsgrundsatz.
Der Bundesfinanzhof weist ferner darauf hin, dass der Zweck des Antidumpingrechts – der Schutz der europäischen Industrie vor unlauter importierten Billigwaren – nur dann gewahrt bleibt, wenn auch nachträgliche Zollfestsetzungen möglich bleiben. Das gilt insbesondere für Fälle von Umgehungshandlungen, bei denen Ursprungsnachweise fälschlich ausgestellt wurden. Die Durchführungsverordnung (EU) 2016/278 enthält keine Anhaltspunkte für eine Rückwirkung, sondern beschränkt sich ausdrücklich auf die Aufhebung mit Wirkung ab ihrem Inkrafttreten am 28. Februar 2016. Bereits entstandene Zollschulden bleiben daher bestehen, und ihre Nacherhebung richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des Zollkodex. Auch der europäische Rechtsschutzmechanismus in Form der Verjährungsregeln, etwa Artikel 221 Absatz 3 und 4 Zollkodex, bleibt unberührt.
Interessant für Steuerjuristinnen, Betriebsprüfer und Compliance‑Verantwortliche ist der zusätzliche Hinweis, dass nach § 169 Absatz 2 der Abgabenordnung bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Abgabenverkürzung die Festsetzungsverjährung auf zehn Jahre verlängert werden kann. Dies gilt auch im Zollrecht bei Feststellungen, dass falsche Ursprungszeugnisse zur Abgabenverkürzung verwendet wurden.
Relevanz für Unternehmen, Onlinehändler und spezialisierte Betriebe
Aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs ergeben sich für deutsche Unternehmen mehrere praxisrelevante Konsequenzen. Zunächst verdeutlicht das Urteil, dass eine vermeintliche Aufhebung von EU‑Maßnahmen nicht automatisch das Ende sämtlicher in der Vergangenheit entstandenen Abgabenschulden bedeutet. Mittelständische Gewerbe wie Maschinenbauer, metallverarbeitende Betriebe oder Krankenhäuser, die komplexe Medizingeräte oder Verbindungselemente importieren, sollten ihre Lieferketten weiterhin sorgfältig dokumentieren und die Echtheit von Ursprungsnachweisen prüfen. Gleiches gilt für Onlinehändler, die häufig auf internationale Zwischenhändler angewiesen sind. Das Risiko, dass Ware fälschlich aus einem Drittstaat ohne Antidumpingzoll deklariert und später nachbelastet wird, bleibt bestehen. Eine transparente Kommunikation mit Logistikdienstleistern und eine stete Überwachung von Zolltarifänderungen sind deshalb unerlässlich.
Besonders kleine und mittlere Unternehmen neigen dazu, externe Zollprozesse auszulagern, verfügen aber oft nicht über ausreichende Kontrollmechanismen. Die Entscheidung zeigt, dass die Verantwortung letztlich immer beim Importeur bleibt. Fehlerhafte Ursprungsnachweise oder unvollständige Zollanmeldungen führen im Zweifel zu Nachforderungen, die Jahre später erheblich ins Gewicht fallen können. Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, die medizinische Verbrauchsgüter über internationale Beschaffungswege beziehen, sind ebenfalls gut beraten, die im EU‑Zollrecht festgelegten Dokumentations‑ und Nachweispflichten einzuhalten. Auch wenn in diesen Branchen oft nur geringe Warenwerte je Sendung anfallen, summieren sich nachträgliche Zölle und Zinsen schnell zu spürbaren finanziellen Belastungen.
Für Steuerberatende und Finanzinstitutionen ergibt sich die Notwendigkeit, ihre Mandanten auf eine nachhaltige Compliance‑Struktur hinzuweisen, die sowohl steuerrechtliche als auch zollrechtliche Risiken erfasst. Schwierige Abgrenzungen zwischen mehreren Ursprungsstaaten bedürfen häufig externer Expertise. Die Kooperation zwischen Zoll‑ und Steuerberatung gewinnt damit weiter an Bedeutung.
Ausblick und Handlungsempfehlung für die Unternehmenspraxis
Unternehmen sollten die Entscheidung des Bundesfinanzhofs als Anlass nehmen, bestehende Importprozesse kritisch zu überprüfen. Im Mittelpunkt stehen die korrekte Ermittlung des tatsächlichen Ursprungslands und die transparente Dokumentation der Lieferkette. Wer auf Lieferanten in Drittstaaten setzt, sollte regelmäßig Audit‑Nachweise anfordern und Zollprüfprotokolle archivieren. Eine revisionssichere digitale Verwaltung dieser Unterlagen kann die spätere Beweisführung gegenüber dem Zoll erheblich erleichtern. Steuerberaterinnen und Steuerberater sollten ihre Mandanten darauf hinweisen, dass eine Nacherhebung selbst viele Jahre nach dem Import rechtlich möglich bleibt, wenn Unregelmäßigkeiten festgestellt werden.
Der Bundesfinanzhof hat mit diesem Urteil eine praxisorientierte Klärung herbeigeführt und gleichzeitig unterstrichen, dass nationale Gerichte die europäische Rechtslage in Einklang mit der gefestigten Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union anwenden müssen. Unternehmerinnen und Unternehmer gewinnen dadurch Planbarkeit, müssen aber zugleich ihre internen Abläufe im Zollmanagement stärken. Das gilt für Handelsunternehmen ebenso wie für produzierende Betriebe, Pflegeeinrichtungen oder E‑Commerce‑Anbieter.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der Digitalisierung der Buchhaltungsprozesse und der Optimierung von Abläufen entlang der Liefer‑ und Dokumentationskette. Durch einen hohen Digitalisierungsgrad lassen sich auch komplexe Zollverfahren kosteneffizient gestalten und die Risiken zukünftiger Nachforderungen spürbar reduzieren.
Gerichtsentscheidung lesen