Die Abgrenzung zwischen arbeitsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten gewinnt für Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen zunehmend an Bedeutung. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die zur Mitarbeiterbindung Aktienoptionen oder Beteiligungsmodelle einsetzen, sehen sich in der Praxis häufig mit der Frage konfrontiert, ob Konflikte hieraus vor die Arbeitsgerichte oder die ordentlichen Gerichte gehören. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. August 2025 (Az. 9 AZB 4/25) befasst sich genau mit dieser Schnittstelle und schafft Klarheit darüber, wann der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ausgeschlossen ist.
Rechtsweg bei Mitarbeiteraktienprogrammen – Hintergrund und Sachverhalt
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein leitender Angestellter einer Aktiengesellschaft, der im Rahmen eines Mitarbeiteraktienprogramms eigene Unternehmensaktien erworben hatte. Grundlage seines Erwerbs war eine Aktionärsvereinbarung zwischen den Anteilseignern der Gesellschaft, die vorsah, dass ausscheidende Arbeitnehmer bestimmte Anteile an die Gesellschaft zurückübertragen müssen. Nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses machte der Mitarbeiter unter anderem geltend, diese Rückgabepflicht sei unwirksam, da sie gegen aktienrechtliche Vorschriften verstoße. Er erhob daraufhin Klage, und die Streitfrage entstand, ob die Arbeitsgerichte oder die ordentlichen Zivilgerichte zuständig sind.
Das Bundesarbeitsgericht entschied schließlich, dass die Zuständigkeit nicht bei den Arbeitsgerichten liegt. Maßgeblich sei, dass der Kern des Streitverhältnisses nicht aus dem Arbeitsvertrag, sondern aus der gesellschaftsrechtlichen Beziehung des Klägers als Aktionär resultiert. Der Kläger sei in seiner Eigenschaft als Anteilseigner und nicht als Arbeitnehmer betroffen. Daher müsse der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten – konkret zum Landgericht – eingeschlagen werden.
Abgrenzung von Arbeits- und Gesellschaftsrecht – Leitlinien für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die bloße Verbindung eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms mit einem Arbeitsverhältnis nicht automatisch zu einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit führt. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass allein der Umstand, dass Aktien im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses angeboten oder erworben werden, keinen arbeitsrechtlichen Bezug für spätere Auseinandersetzungen begründet, wenn es in erster Linie um Rechte und Pflichten aus der Aktionärsstellung geht.
Rechtsgrundlage der Entscheidung war § 2 Absatz 1 Nummer 4 Arbeitsgerichtsgesetz, der die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bestimmt, die mit dem Arbeitsverhältnis in einem rechtlichen oder unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. In dem vorliegenden Fall sah das Gericht einen solchen unmittelbaren Zusammenhang nicht gegeben. Die Aktionärsvereinbarung sei ein eigenständiger gesellschaftsrechtlicher Vertrag zwischen Aktionären, der unabhängig vom Arbeitsverhältnis fortbestehe und dessen Regelungen nicht durch arbeitsvertragliche Bestimmungen beeinflusst würden.
Für die unternehmerische Praxis ergibt sich aus der Entscheidung eine klare Leitlinie: Sobald Beteiligungsrechte oder Aktienoptionen durch eigenständige gesellschaftsrechtliche Verträge geregelt werden, liegt die Zuständigkeit regelmäßig bei den Landgerichten. Nur wenn sich der Konflikt unmittelbar auf arbeitsvertragliche Verpflichtungen stützt, etwa auf Bonus- oder Abfindungsregelungen, können die Arbeitsgerichte angerufen werden.
Relevanz für kleine Unternehmen, Mittelstand und spezialisierte Branchen
Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die innovative Mitarbeiterbindungsmodelle einsetzen, hat das Urteil eine erhebliche praxisnahe Bedeutung. Viele Start-ups, Onlinehändler oder auch Pflegeeinrichtungen nutzen Aktien- oder Anteilsprogramme, um Schlüsselkräfte langfristig an das Unternehmen zu binden. Dabei werden in der Regel gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen abgeschlossen, denen sowohl Beschäftigte als auch andere Investoren beitreten. Diese vertraglichen Konstruktionen schaffen einen hybriden Rechtsrahmen, in dem arbeits- und gesellschaftsrechtliche Elemente ineinandergreifen.
Das Urteil zeigt jedoch deutlich, dass eine scharfe Trennung der Rechtsverhältnisse erforderlich bleibt. Werden Arbeitnehmer zu Aktionären, tritt für alle Fragen der Beteiligungsebene das Gesellschaftsrecht in den Vordergrund. Unternehmen sollten daher bereits bei der Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die Dokumente die jeweilige rechtliche Zuordnung klar erkennbar machen. Das erleichtert im Streitfall die Bestimmung des richtigen Rechtswegs erheblich und vermeidet kostspielige Rechtswegstreitigkeiten, die den eigentlichen Konflikt verzögern.
Für die betriebliche Praxis bedeutet das Urteil auch, dass arbeitsrechtliche und gesellschaftsrechtliche Berater eng zusammenarbeiten sollten. Steuerberatende und Finanzinstitute, die Mitarbeiterbeteiligungsprogramme strukturieren oder verwalten, müssen beachten, dass die jeweiligen steuerlichen Effekte – etwa bei Erwerb oder Rückgabe von Anteilen – von der rechtlichen Einordnung abhängen können. Eine unklare Abgrenzung kann sowohl haftungsrechtliche als auch steuerliche Folgerisiken mit sich bringen. Besonders in Unternehmenskonstruktionen, bei denen Arbeitnehmer über Beteiligungsplattformen Aktien erwerben, ist eine transparente Trennung zwischen arbeitsvertraglicher Verpflichtung und gesellschaftsrechtlicher Stellung entscheidend.
Klarheit für künftige Vertragsgestaltung und Konfliktprävention
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit im Bereich der Mitarbeiterbeteiligung geleistet. Die Verweisung an die ordentlichen Gerichte bedeutet praktisch, dass Streitigkeiten über Aktionärsrechte nicht mehr als arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen geführt werden dürfen, auch wenn der Anlass in einem Beschäftigungsverhältnis liegt. Diese klare Zuständigkeitszuordnung ermöglicht eine geordnetere Bearbeitung komplexer Fälle, in denen häufig hohe wirtschaftliche Werte im Raum stehen.
Für Unternehmen empfiehlt sich, beim Aufbau oder der Überarbeitung bestehender Mitarbeiterbeteiligungsmodelle juristische Beratung sowohl aus der arbeitsrechtlichen als auch aus der gesellschaftsrechtlichen Perspektive einzubeziehen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Bindungsziele mit rechtskonformen und gerichtsfesten Regelungen verbunden sind. Fehlende Abgrenzung kann im Streitfall nicht nur den falschen Rechtsweg auslösen, sondern auch zusätzliche Kosten und Haftungsrisiken für Arbeitgeber verursachen.
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