Unangemessene Benachteiligung in AGB – Bedeutung für Unternehmen
Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 23. Oktober 2025 (Az. III ZR 147/24) eine AGB-Klausel eines Telekommunikationsunternehmens für unwirksam erklärt. Die Klausel verpflichtete Kundinnen und Kunden, bei Verlust oder missbräuchlicher Nutzung der SIM-Karte neben der Rufnummer auch ein zuvor vergebenes persönliches Kennwort anzugeben, um die Karte sperren zu lassen. Grundlage der Entscheidung ist § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, der Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für unwirksam erklärt, wenn sie Vertragspartner entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Der Fall zeigt eindrücklich, wie wichtig eine ausgewogene Interessenabwägung bei der Gestaltung von AGB ist – nicht nur für Konzerne, sondern auch für kleine und mittelständische Unternehmen, die zunehmend digitale Verträge und Kundenportale einsetzen.
Eine unangemessene Benachteiligung liegt insbesondere dann vor, wenn der Verwender von AGB dem Vertragspartner Pflichten auferlegt, die letztlich sachlich nicht gerechtfertigt oder in der konkreten Lebenssituation kaum erfüllbar sind. Das Gericht sah in der verpflichtenden Nennung eines persönlichen Kennworts eine unzumutbare Erschwernis für die Kundschaft. Gerade wenn die Sperre einer SIM-Karte schnell erfolgen muss, um Schäden zu begrenzen, kann die zusätzliche Hürde eines Kennworts bedeuten, dass die Sperrung verzögert wird. Dies widerspricht dem Schutzinteresse der Kundinnen und Kunden, dem der Gesetzgeber und die Rechtsprechung Vorrang einräumen.
Juristische Einordnung und praktische Tragweite
Das Urteil konkretisiert einmal mehr den Prüfungsmaßstab des § 307 BGB, der vorsieht, dass AGB stets einer Inhaltskontrolle unterliegen. Maßgeblich ist die Frage, ob die konkrete Regelung die Interessenlage zwischen Verwender und Vertragspartner in einem angemessenen Gleichgewicht hält. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass sich die Beklagte zwar auf ein legitimes Interesse an der Vermeidung von Missbrauch berufen kann, sie aber verpflichtet bleibt, alternative Authentifizierungsverfahren anzubieten, die gleichwertigen Schutz bieten. Unter „Authentifizierungsverfahren“ versteht man technische oder organisatorische Schritte, mit denen ein Dienstanbieter sicherstellt, dass nur berechtigte Personen Zugriff auf eine bestimmte Funktion erhalten.
Die Entscheidung hat Signalwirkung über die Telekommunikationsbranche hinaus. Unternehmen, die Onlineportale oder Self-Service-Funktionen zur Verfügung stellen, müssen gewährleisten, dass diese Prozesse kundenfreundlich und risikoadäquat sind. Die bloße Verlagerung des Sicherheitsaufwands auf die Kundschaft reicht nicht aus. Kleinere Unternehmen, etwa Onlinehändler oder Pflegeeinrichtungen mit digitalisierten Verwaltungsportalen, sollten ihre AGB daraufhin überprüfen, ob Authentifizierungsanforderungen oder Mitwirkungspflichten für Nutzerinnen und Nutzer angemessen bemessen sind. Eine übermäßige Komplexität kann nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch wirtschaftlich schädlich sein, da sie die Akzeptanz digitaler Prozesse mindert.
AGB-Gestaltung in der Unternehmenspraxis
Für viele Unternehmen ist die Nutzung von AGB zu einem Standard geworden, um Vertragsbeziehungen effizient abzubilden. Gerade im E‑Commerce oder im Dienstleistungsbereich wird die Praxis der AGB-Gestaltung jedoch häufig unterschätzt. Dabei gelten klare rechtliche Leitplanken: Eine Klausel darf den Vertragspartner nicht in seinen Rechten einschränken oder eine Situation schaffen, in der die Erfüllung seiner Pflichten praktisch unmöglich wird. Das Urteil verdeutlicht, dass selbst vermeintlich technische Anforderungen – wie die Angabe eines Kennworts – rechtlich relevant sein können, wenn sie die tatsächliche Möglichkeit zur Wahrnehmung eines Rechts behindern.
Unternehmen sind deshalb gut beraten, AGB vor der Veröffentlichung rechtlich prüfen zu lassen. In der Praxis empfiehlt es sich, bei Regelungen, die Pflichten der Kundschaft betreffen, die konkrete Handhabbarkeit zu bedenken. Eine rechtliche Überprüfung sollte immer auch die Perspektive des Nutzers einbeziehen, um die Gefahr einer unangemessenen Benachteiligung zu vermeiden. Dies gilt insbesondere im Umgang mit digitalisierten Geschäftsmodellen, bei denen Authentifizierung, Identitätsnachweis und sichere Datenverarbeitung eine immer größere Rolle spielen.
Fazit und Empfehlungen zur Prozessoptimierung
Das Urteil des Bundesgerichtshofs unterstreicht, dass unternehmerische Gestaltungsspielräume bei AGB nicht grenzenlos sind. Geschäftsbedingungen müssen auch bei legitimen Sicherheitsinteressen so ausgestaltet werden, dass sie das Recht auf schnelle und praktikable Handlungen der Kundschaft nicht behindern. Für Unternehmen, die ihre Geschäftsprozesse zunehmend digital abbilden, stellt sich daher die Aufgabe, effiziente Sicherheitslösungen zu implementieren, ohne die Kundenerfahrung zu beeinträchtigen. Eine umfassende Risiko- und Prozessanalyse kann helfen, individuelle und rechtssichere Lösungen zu finden, die sowohl der Unternehmenssicherheit als auch der Nutzerfreundlichkeit gerecht werden.
Unsere Kanzlei unterstützt kleine und mittelständische Unternehmen bei der rechtssicheren Gestaltung digitaler Geschäftsprozesse. Wir verfügen über langjährige Erfahrung in der Prozessoptimierung von Buchhaltungs- und Verwaltungsabläufen und begleiten unsere Mandantinnen und Mandanten bei der nachhaltigen Digitalisierung, die nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern auch erhebliche Kostenersparnisse ermöglicht.
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